Vor dem Vorhang DER DICHTR AN DIE ZUSCHAUER Von Kind auf hat sich ein Stück mich hingerissen, Darin der Teufel was zu sagen hat, Des Kindes Ahnung wird, im Mann, zum Wissen, Doch hälfe Wissen nicht, würd' es nicht Tat; Würde nicht Regung in Bewusstsein fliessen, Und in Anschauung dies, aus einer Saat: Es liegt im Kind, wie in des Keims Gewalten, Der volle Trieb zum späteren Gestalten. Die Bühne zeigt von Leben die Gebärde, Unechtheit steht auf ihrer Stirn geprägt; Auf dass sie nicht zum Spiegel-Zerrbild werde, Als Zauberspiegel wirk' sie schön und echt; Gebt zu, dass sie das Wahre nur entwerte, Dem Unglaubhaften wird sie erst gerecht: Und wenn ihr sie, als Wirklichkeit, belachtet, Zwingt sie zum Ernst, als reines Spiel betrachtet. In dieser Form allein ruft sie nach Tönen, Musik steht dem Gemeinen abgewandt; Ihr Körper ist die Luft, ihr Klingen Sehnen, Sie schwebt… Das Wunder ist ihr Heimatland. Drum hielt ich Umschau unter allen jenen, Die mit dem Wunder wirkten, Hand in Hand: Ob gut, oder böse, ob verdammt, ob selig, Sie ziehn mich an mit Macht unwiderstehlich. Von dreien, die ich weiss, der Teufelsritter, Ward einer von dem Bösen selbst gezeugt; Die Jungfrau überfällt's wie ein Gewitter, Aus ihrem Schoss darauf Merlin entsteigt; Den dunklen Mächten späterhin entglitt er, Wenn er sich, vor dem Höheren gebeugt: Allwissenheit, vom Vater mitgegeben, Er nützt sie aus zu einem Segensleben. Beim zweiten miss ich ganz die Widersprüche, Als Einheit steht er da, ein Mann und echt, Sein Wagmut steigt ins Ungeheuerliche Und tausend Künste weiht er - dem Geschlecht, Wo ist der Zwang, dem Don Giovanni wiche? Ein solcher wär' als Held mir eben recht: Doch Meister Wolfgang ist's zu gut gelungen, Für immer hat er diesen Sang gesungen. Der dritte meiner Reih' ist nicht geringer, Ein trotz'ger Geist, ein Einzelner, auch er: Ein Tiefbelesener, ein Höllenzwinger, Vieldeutiger zumal, und sonst auch mehr, Ein schwacher Mensch und doch ein starker Ringer Den Zweifel tragen hin und wieder her: Herr des Gedankens, Diener dem Instinkt, Dem das Erschöpfen keine Lösung bringt. Das End' ist Schrecken, doch sein Name steht, Die Chronik hält ihn, artet in Legende, Die Dichtung folgt, Unsterblichkeit umweht, Und des Nachbildens, Schmückens ist kein Ende; Als lebensähnlich die Gestalt ersteht, Täuschend bewegt durch unsichtbare Hände: Das Puppenspiel vom Faust zieht durch die Zeiten, Ergriffenheit und Staunen zu bereiten. Zu Frankfurt war's, am Tag, und vor den Toren, Unter dem Volk ein Zaubrer fand sich ein; Der griff entschlossen nach des Spiels Figuren, Da schwand die Schau, als wär' sie Dunst und Schein. Gemächlich erst, und in den alten Spuren, Haucht er den Sinn des Lebens ihnen ein: Sie wachsen fort, ins Mystische gelenkt, Zu Höchst geschleudert und zu Tiefst versenkt. Und mit dem letzten Spruch von hinnen reist er. Der Rätselbau zeigt jegliche Gestalt; Von allen Seiten zieht er an die Geister, Er ist die Form für jeglichen Gehalt. Doch was vermöcht', egn Zauberer, ein Meister! Des Mesnchen Lied am Göttlichen verschallt: Also belehrt erkannt' ich meine Ziele Und wandte mich zurück - zum Puppenspiele. Besah mir nah die schlicht geformten Bilder, Die waren schöner jetzt, durch höheres Alter; Ich firnisste, hantierte als Vergülder - (es wirkt die Zeit nicht minder als Zerspalter) ich schärfte Eines, Andres strich ich milder, und aus der Larve flog herauf ein Falter: ins Altgewebe flocht ich neue Maschen, vergess'nes Muster wird euch überraschen. So stellt mein Spiel sich wohl lebendig dar, Doch bleibt sein Puppenursprung offenbar. * * * Symphonia Ostervesper und Frühlingskeimen CHOR (hinter dem Vorhang) Pax - Pax - Pax Vorspiel I Wittenberg Vormittags. Studierzimmer. Hoher gotischer Raum, halb Bibliothek und halb alchemistische Küche, der sich in undeutliche Tiefe verliert; etwas verwitter. Faust, am Herde, mit der Beobachtung eines werdenden chemischen Vorganges beschäftigt sich und völlig darin vertieft. Nach kurzer Stille tritt Wagner ein. WAGNER Euerer Magnifizenz Verzeihung Euerer Magnifizenz Verseihung: allien, Es melden sich drei Studenten. FAUST Ihr Wunsch? WAGNER Sie wollen ein Buch überreichen - FAUST Wagner, wahrhaftig! Ich mag so nicht weiter. Das Leben rollt rascher und - nicht mehr aufwärts. Nicht darf ich so breite Zeit an andre wenden. Und dem hilft doch kein Rat, der sich nicht selber besinnt! - Macht mich bei Ihnen entschuldigt. WAGNER Euerer Magnifizenz Verseihung. Es ist keine Arbeit diesmal, die man von Ihnen heischt. Das Buch mag sein eine seltene Handschrift, denn es trägt einen sonderlichen Titel: Clavis Astartis Magica… FAUST Clavis Astartis -? Irrt Euch nicht? Wollt Ihr mich gar nasführen! Fangt Ihr Grillen? Seht Ihr Geister? WAGNER Nein, nein, Ich kann Magnifizenz versichern. FAUST Also lasst die Studenten ein. (Wagner ab) Faust, Faust, nun erfüllt sich dein Augenblick! Die Zaubermacht in meine Hand gegeben, die ungeheuren Zeichen mir erschlossen, heimliche Gewalten mir geknechtet, und ich kann - ja, ich kann - o, ihr Menschen, die ihr mich gepeinigt, hütet euch vor Faust! In seine Hand die Macht gegeben, heimliche Gewalt ihm zu Gebot, er wird euch zwingen, euch bezwingen. Wehe, wehe über euch!… Wenn Wagner dennoch irrte… vielleicht zum Heile…? WAGNER (tritt ein) Euere Magnifizenz, die Stundenten sind hier. FAUST Sie sollen kommen. ( Wagner gibt ein Zeichen nach der Tür hin. Es treten auf drei schwarzgekleidete Studenten.) Wer seid Ihr? DIE DREI Studenten aus Krakau. FAUST O, mein altes, mein teures Krakau! Eure Gestalten rufen die Jugend mir zurück. Träume! Pläne! Wieviel hatt' ich gehofft! - Seid willkommen, Und was führt euch zu mir? DER RSTE Dieses Buch leg' ich in Eure Hand. (Faust unterdrückt eine Bewegung des Ungestüms.) DER ZWEITE Von mir erhaltet Ihr den Schlüssel. DER DRITTE Diese Briefschaft macht es zu Euerem Eigentum. FAUST Wie kommt ein solches Geschenk mir zu? DIE DREI Du bist der Mesiter! FAUST Also darf ich es eignen? DIE DREI Es ist deines. FAUST Und wie soll ich euch dieses vergelten? DIE DREI Soäter. Leb' wohl, Faust. FAUST Verweilet, bleibet meine Gäste! DIE DREI Leb' wohl, Faust. FAUST So saget, dass ich euch wiederseh. DIE DREI Vielleicht. Leb' wohl, Faust. (Sie gehen ab.) FAUST (sieht ihnen kopfschüttelnd nach) Sonderlinge! (Wagner tritt wieder ein.) Seid Ihr den Studenten begegnet? Und wollt Ihr nicht sie geleiten? WAGNER Euere Magnifizenz, icg begegnete keinem. FAUST Soeben gingen sie. WAGNER Ich sah niemanden. FAUST Ihr habt sie versäumt. Ach, nun weiss ich, w e r sie gewesen. (Der Metallbrei auf dem Herd überkocht mit lautem Geprassel. Wagner eilt gesch&aftig hinzu.) Vorspiel II Der nämliche Raum um die Mitternacht FAUST Die Sanduhr zeigt die Mitternacht: Ich darf beginnen. Rätselvolles Geschenk, Nun sollst du dich bewähren. (Faust schlägt das Buch des Astartis auf.) So wäre dies die erste Handlung! (Er löst seinen Gürtel und bildet mit ihm einen Kreis auf dem Boden; tritt in den Kreis, den Schlüssel in der Hand.) Luzifer! Luzifer! Gefallener Engel, du, der Stolzeste, herbei! (Er hebt den Schlüssel, der erstrahlt.) Luzifer! Hierher zu mir! (Fahlgrünes Leuchten durchtanzt den Raum. Der Schlüssel erstrahlt mehr und mehr. Eine sichtliche Erregung überfällt Faust.) UN SICHTBARER CHOR Dein Begehr? FAUST Entsende mir deine Diener. CHOR Du willst? FAUST Ich will. CHOR Du beharrst? FAUST Ja, ich will! CHOR Sie kommen! Sie kommen! (Die Studierlampe und der Schlüssel erlöschen. Sechs Zungenflammen schweben im Raum.) FAUST Was tat ich! (Drückende Stille.) Wie konnt' es alsobald gelingen? Darf ich mich weiter wagen? Ich sollte sie befragen, doch es ekelt mich davor, schon ihre Stimmen könnten mich töten. CHOR Frage immerhin. FAUST Wohlan. So sprich, du Esrter, du Tiefster: Gib deinen Namen. ERSTE STIMME Gravis. FAUST Sag' an, wie sehr du geschwind bist. ERSTE STIMME Wie der Sand in dem Uhrglas. FAUST Wie der Sand in dem Uhrglas? Hinweg, kriechendes Wesen. (Die erste Flamme erlischt.) (Für sich) Sie gehorchen. (Laut) Der Zweite! Welcher bist du? ZWEITE STIMME Levis. Ich bin geschwind wie das fallende Laub. FAUST Der Mensch fällt hurtiger als du: verschwinde. (Die zwiete Flamme erlischt.) Gib Rede, Dritter, gleich den andren. DRITTE STIMME Ich bin Asmodus. Ich eile wie der Bach, der sich vom Felsen stürzt; über Bergeskämme, durch die Felder sprudelnd, hin bis zum Ozean! FAUST Ein Prahler bist du. Du zieht es nur abwärts: fort mit dir! Fort! (Die dritte Flamme erlischt.) (Für sich) Mein Hoffen sinkt, ob auch mein Mut sich hebet. Offenbare dich, Vierter. VIERTE STIMME Ich bin Fürst Belzebuth. CHOR Belzebuth. VIERTE STIMME Ich schnelle wie die Kugel aus dem Rohre; genügt's dir? CHOR Genügt's dir? FAUST Nein. Ein Spottfürst! (Die vierte Flamme erlischt.) FÜNFTE STIMME Schaue hier, Megäros - CHOR Schaue hier, Maegäros. FÜNFE STIMME -- wie der Sturm behende. CHOR Hier schaue Megäros, Wie der Sturm behende. FAUST Das klingt nach Etwas, doch es erschöpft nicht. Ich blasé, Sturm, dich aus: verwehe. (Die fünfte Flamme erlischt.) CHOR Üh! FAUST Schweiget! (tritt aus dem Kreise) Welchem Wahn gab ich mich hin! Arbeit, Heilende Welle, In dir bade ich mich rein. SECHSTE STIMME Faust! FAUST Wie hell flackert das Licht. Ist es von ihm aus, dass die Stimme ruft? Wie hoch züngelt es auf! Wirst auch nicht mehr vermögen, als die andren, o du lichtere Flamme. Ich mag nichts erfahren von dir. SECHSTE STIMME Faust! FAUST Noch einmal? Und dringender? So magst du reden. SECHSTE STIMME Faust, ich bin geschwind als wie des Menschen Gedanke. FAUST Als wie des Menschen Gedanke? Was will ich mehr? Dein Name? SECHSTE STIMME Mephistopheles. FAUST Mephistopheles? SECHSTE STIMME Mephistopheles. CHOR Mephistopheles. FAUST So zeige dich in greifbarer Gestalt. (Mephistopheles tritt unbemerkt ein und verbleibt in serviler Haltung. Er trägt ein anliegendes schwarzes Gewand.-Faust, der noch die Flamme anstarrte, erblickt ihn unerwartet und unterdrückt eine Regung des Widerwillens.) FAUST Willst du mir dienen? MEPHISTOPHELES Fragt sich, in welcher Weise? FAUST Beschaffe mir für meines Lebens Rest Die unbedingte Erfüllung jeden Wunsches, Lass mich die Welt umfassen, -- den Osten und den Süden, die mich rufen - o, lass mich die Welt umfassen, der Menschen Tun begreifen, es ungeahnt erweitern; gib mir Genie, gib mir auch sein Leiden. MEPHISTOPHELES Was noch mehr? FAUST Mache mich frei! So dientest du mir recht, Bis an die Erschöpfung, hernach - Jetzt fordre du. MEPHISTOPHELES Hernach dienest du mir, fortab. FAUST Ich dir dienen? Dir? In aller Zeiten Ewigkeit?! Ich - kann nicht. Ich kann - und will nicht. Mache dich fort. MEPHISTOPHELES Höre, Faust. Draussen stehn die Gläubiger. Zuhauf, die du hast betrogen. Über dein Mädchen hast du Unglück gebracht: der Bruder Trachtet nach dem Leben. Die Pfaffen, Sie sind hinter dir her: sie wittern, und nicht Mit Unrecht: Der Scheiterhaufen wartet deiner! FAUST Genug, genug! Ich weiss! MEPHISTOPHELES Heheh! So seid ihr Menschen, Die ihr unablässig Einander aufreizt und jagt! FAUST Lass den Gemeinplatz, spar deine Weisheit. MEPHISTOPHELES Kommt es einmal zum Letzten, Dann sind meinesgleichen, Dann bin ich geringerer Teufel, Als Retter gefällig zur Stelle. MEPHISTOPHELES So stehn die Dinge. Wähle! FAUST Schlau wusstest du die Schlingen zu legen. MEPHISTOPHELES Schlag' ein. FAUST Niemals! (Klopfen an der Tür.) MEPHISTOPHELES Deine Schergen stehn dahinter. Ein Wort von dir, und sie sind nicht mehr! (Stärkeres Klopfen.) FAUST Töte sie. MEPHISTOPHELES Es ist geschehn. Möchtet His das Übrige abwarten? FAUST Kaum! - Ich geb mich dir. Aber jetzt - verlass mich. MEPHISTOPHELES Nur noch ein Geringes. FAUST Fort, fort, fort! Ich kann dich nicht ertragen! MEPHISTOPHELES Du musst es lernen. CHOR Credo in unum Deum. Patrem omnipotentem, creatorem coeli et terrae visibilium omnium et invisbilium. FAUST Was verlangst du noch? MEPHISTOPHELES Ein kurzes Schreiben, mit deinem Blut Gezeichnet, rot auf weiss. FAUST So gib es. MEPHISTOPHELES Brav. CHOR Cred in unum Deum. FAUST Wo ist mein Wille, wo mein Stolz geblieben! Unseliger Faust, das Höllenwerk begann. (Tritt an das Fenster.) Wie wird mir --! (Es wird Tag. Ostertag.) CHOR Et ressurexit tertia die - secundum scripturam et ascendit in coelum, - sedet ad dexteram Patris. FAUST Ostertag! Da ziehen die Guten zum Münster. Oh, Tag meiner Kindheit! MEPHISTOPHELES Kehr' dich nicht an das Gesäusel. FAUST Still! CHOR Et iterum venturus est - cum gloria Judicare vivos, -- vivos et mortuos. FAUST Du, Faust, bist nun ein Toter. Ich werde gerichtet! Wer hilft mir? (Ein Rabe fliegt herbei, Feder im Schnabel, die Mephistopheles ihm abnimmt.) MEPHISTOPHELES Ein Mann, Faust, du hast dein Wort zu halten: Vollziehe! FAUST Noch hat es Zeit. Fauch mich nicht an. CHOR Credo, credo. FAUST (verzweifelt) Es gibt kein Erbarmen. Es gibt keine Seligkeit, keine Vergeltung, den Himmel icht und nicht die Höllenschrecken: dem Jenseitz trotz' ich! MEPHISTOPHELES Tüchtig, tüchtig! Dan nenn' ich fortgeschritten: Nun seid Ihr eben auf der rechten Fährte! FAUST (zitternd, indem er Mephistopheles das unterschriebene Blatt entgegenstreckt) Hier - nach Schwinden meiner Frist - es wird sich zeigen - vielleicht unterliegst noch du - bin ich - nicht dein Herr - (Er fällt ohnmächtig nieder.) CHOR Gloria in excelsis Deo et in terra pax. (Mephistopheles weidet sich eine Zeitlang an dem Anblick seines Opfers - und entreisst ihm das Blatt.) MEPHISTOPHELES Gefangen! (Er versinkt.) (Die Bühne wird stetig heller. Von dem Fenster her, und wie durch alle Ritzen, fluten Morgensonnenstrahlen in das Gewölbe herein.) CHOR DER MÄNNER UND FRAUEN Allelujah! ZWISCHENSPIEL Uralte romanische Kapelle in Münster. Kahle graue Wände, Holzbänke, ein Kruzifix, Orgelspiel vom Hauptschiffe her vernehmbar. Gretchens Bruder kniend im Gebet. DER SOLDAT Du, der du nicht allein der Gott der Milde und der Gnade bist; zu Zeiten auch des Zornes, und der Rache, und der Schlachten, als der du mir bist vertrauter: erhöre mein Gebet! Ich hatte nichts auf der Welt, als mein Geschwister, nicht Eltern, noch Weib und nichts, das mir's ersetze. Man hat es mir genommen, hat es verdorben: Lass du den Mann mich finden und lass ihm Recht geschehn. Herr, der du nict allein der Gott der Mild und der Gnade, erhöre mein Gebet! MEPHISTOPHELES Der Mann sinnt auf deinen Tod. FAUST Räum ihn aus dem Wege. MEPHISTOPHELES Auf deine Rechnung. FAUST Nein, ich will meine Hände rein wahren! Such ein andres. MEPHISTOPHELES Wenn er dich jetzt erkennt, kein andrer Ausweg, als dass du ihn selbst tötest. FAUST Find einen anderen. (Der soldat macht eine Bewegung.) MEPHISTOPHELES Aufgepasst! FAUST Nicht ich, nicht ich - MEPHISTOPHELES Er oder du. FAUST Er schleppt sein Leben in eitler Qual, ich bin ein Mann der Tat. MEPHISTOPHELES Einverstanden. (Mephistopheles als grauer Mönch tritt langsam auf und kniet Seite an Seite des Soldaten nieder.) MEPHISTOPHELES Möchtest du mir nicht beichten? DER SOLDAT Ich habe nicht an Bösem was getan. MEPHISTOPHELES Aber du hast welches vor. DER SOLDAT Ich habe vor, was Rechtens ist. Weisst du's, brauch ich zu beichten um so weniger. MEPHISTOPHELES Vielleicht wär's doch an der rechten Zeit! DER SOLDAT Gott ist bei mir. Du bist mir lästig. MEPHISTOPHELES Wer weiss, deine Stunde ist nicht weit. DER SOLDAT Teufelsmönch, zeig deine Fratze! Ich bin ein offener Mann! MEPHISTOPHELES Du wirst sie bald sehen. DER SOLDAT Hervor damit! MEPHISTOPHELES Geduld, sieh lieber nach der Tür. Hurtig. Wehr dich! (Springt auf. Entfernte Trommeln und Trompeten.) Man rückt heran. Es sind ihrer sechs gegen Einen. Sticht dich nicht eine Rauflust? Meine Fratze? Da! (Er streckt ihm die Zunge. Mephistopheles schleicht in einen Beichtstuhl. Der Soldat zieht entsetzt einen Degen und stell t sich mit dem Rücken gegen die Wand. Es dämmert tief. An der Tür zeigt sich der Leutnant, der eine Patrouille anführt.) LEUTNANT Dort! Seht ihn! Verkrochen in der Kirche, der unsern Hauptmann niederschlug von hinten: Gleiches mit Gleichem, haut den Mann zu Boden! Der Oberst wird's uns danken! (Sie kämpfen. Kurz darauf fällt der Soldat erschlagen.) MEPHISTOPHELES (aus dem Beichtstuhl, mit gereckten Armen) Hier? Am heiligen Ort? Ihr seid des Teufels! Mürbe für die Hölle! Im übrigen: gut gemacht, und meine Segen. LEUTNANT Der Mönch ist toll. Lasst ihn laufen. MEPHISTOPHELES Möcht euch wohl nicht anders raten. Ziehn wir die Rechnung: vorerst, Kirchenschändung; Bruder Soldat, mit einem Mordplan, ab; der weise Faust ladet's auf sein Gewissen: drei Ratten in einer Falle. (Ein Strahl des Mondes senkt sich auf den am Boden hingestreckten Toten.) HAUPTSPIEL Erstes Bild Der herzogliche Park zu Parma. Herren und Damen des Hofes. Festlich gekleidete Landleute, voran Sackpfeiler. - Jäger mit Hörnern, Falken, Hundemeute. - Fechtspielende Pagen. Kränzenschlingende Edelfräulein. Der Zeremonienmeister, von einem Fähnlein Leibwachen und Trommeln gefolgt, tritt geschäftig auf; ordnet die Gruppen, macht sich wichtig und bemerkbar. Die Landleute werden zurückgedrängt. Pagen und Edelfräulein aufgestellt, allen - dem Range nach, die Plätze angewiesen. Abwechselnd verschwindend und wiederauftauchend, aufgeregt und autoritativ zugleich, empfängt den Herzog und die Herzogin. CHOR Sie nahn! Der Fürst, die Fürstin! O schauet! O Pracht. Hoch das Paar! Heil dem Fürsten! (Das Herzogspaar tritt zu Pferde auf.) ZEREMONIENMEISTER (meldet sich, mit Verbeugung, zur Ansprache) Nach dieser Feste rauschend bunter Reihe, wagt ich noch kaum auf Grösseres zu hoffen, der Abend kündet sich besonders an. HERZOG Was ist denn Seltenes eingetroffen? ZEREMONIENMEISTER Ein höchst gewnadter Mann. Kein andrer als der Doktor Faust. CHOR Doktor Faust! ZEREMONIENMEISTER (zur Herzogin) Wenn Euch nicht etwa vor diesem graust. HERZOGIN Und weshalb, grausen? ZEREMONIENMEISTER Hohe Frau, Der weise Doktor ist nicht recht geheuer, er brenzelt gleichsam von unheiligem Feuer, ich fürchte fast, dass ich mich viel getrau. Wenn Ihr befehlt, so will ich ihn präsentieren, introduzieren, doch jede Verantwortung refüsieren. HERZOGIN Wir wollen's wagen. - (Der Zeremonienmeister mit Verbeugung ab.) MEPHISTOPHELES (plötzlich als Herald auftauchend) Wagen - und dabei gewinnen. Schönheit gefällt sich im Gefahrenspiel. Drum, schönste Frau, Ihr waget nicht zuviel, erlaubt Ihr meinem Herrn sich einzufinden. Hier ist er selbst, Euch zu dienen. (Faust, von oben, und von weitem, langsam herankommend, müsste ein phantastisches Gefolge schleppentragende [Mohrenknaben oder Affen] haben; und es sollte sein Erscheinen auffällig, wenn auch nicht marktschreierisch wirken. Der Zeremonienmeister tänzelt der Gruppe voran.) CHOR Er naht, mit ihm das Wunderbare. Wir werden staunen und erschauern. Ringsum verborgene Geister lauern, Umranken trügerisch das Wahre. Das lässt uns ahnen, wie das Nächtliche zutage tritt, So dass wir stumm geworden sind und zittern. Er sieht gebieterisch und schön, Das Ungewohnte ist an ihm natürlich. Säh er nicht stolz, wir hielten ihn für zierlich, Er schüchter uns, doch müssen wir ihn ansehn. HERZOG (für sich) Er ist ein Fürst in Wesen und Gebärde, Noch niemals hat ein Mann mich so bestrickt. HERZOGIN (für sich) Mich dünkt, die Hölle hat ihn hergeschickt. MEPHISTOPHELES (für sich) Der Wachhund bellt. Es blökt fie Herde. CHOR Seltener Mann, Seltsamer Gast! Was wird sich zeigen? FAUST (für sich) Du stolzeste der Frauen, Sollt mir der Preis sein! HERZOG Herr Doktor, seid an unserem Hofe begrüsst, und Dank, dass Eure Kunst Ihr uns erschliesst. Wir hoffen, dass Ihr die Fürstin nicht enttäuscht. Mögt Ihr beginnen: HERZOGIN (leise für sich) Was wird sich zeigen? FAUST (halb für sich) Sei unbesorgt! Es sei! (Er erhebt die Hände. Kurze Beschwörungsgeste oder Handlung Fausts. Ein Schwarm faunartiger Teufelchen dringt von allerwärts herein und verteilt sich behende in die Büsche.) CHOR Ah! Ha, ha! FAUST Verzeiht, wenn ich zu eigen handle, Tag ist dem Wunder abgewandt, Licht, sei verbannt, In Nacht dich wandle, Sterne herauf, Am Himmelsrand! CHOR Oh! FAUST Was wünscht die schöne Herrin zu erschauen? HERZOGIN Hab ich zu wählen? HE (zur Herzogin) So wähle! Fordert, verlangt Unmögliches! HERZOGIN Ob jene Fürsten Frühester Zeiten Besseren Anstand Trugen als jetzt? Dieses zu schauen Möchte mir frommen, Lasset den König Salomo kommen. (Es erscheint der König Salomo auf dem Thron.) HERZOG Ein würdiges Bild. ZEREMONIENMEISTER Gewiss, ganz charmant. HERZOGIN Doch gar zu streng. War er nicht auch galant? FAUST So Ihr es wünscht - zeigt er sich Euch als Pfleger schönen Umgangs. (Eine Harfe steigt auf vor Salomo. König Salomo greift in die Saiten. Ein zweiter Thron steigt auf. Die Königin von Saba tritt auf.) HERZOGIN Wer ist die Schöne? HERZOG Sie gleicht Euch sehr! ZEREMONIENMEISTER Ist es Helene? HERZOGIN (für sich) Wohl gleicht sie mir und Faust dem mit der Krone. (Salomo steigt vom Thron und kniet vor ih nieder.) HERZOG Das ist recht dreist, es wird beinah zum Hohne! FAUST Balkis war sie und Sabas Königin. Den weisen Mann bezwang Ihr weiserer Sinn. (Salomo und die Königin von Saba besteigen beide den Thron.) CHOR Seht hier und dort, Ein gleiches;doppeltes Paar. Was hier gemeint Wird offenbar. Das kecke Spiel Beschwört Gefahr. HERZOGIN Ein andres jetzt. Könnt Ihr den Wunsch erraten? FAUST Wendet den schönen Blick zu diesen Schatten. HERZOG Was ist's, das Ihr Euch wünschet? HERZOGIN Ihr werdet's sehen. (Es erscheinen Samson und Dalila.) HERZOG Samson, Dalila, in Lieb umschlungen. ZEREMONINENMEISTER Von dieser Frau Verrat Wird vieles erzählt und gesungen. HERZOGIN Dass Liebe so mit Tücke sich verbände! FAUST Was man erzählt, gehört in die Legende. (Hinter dem Paar erscheint eine schwarze Sklavin, die Dalila die Schere reicht.) CHOR Sie hebt die Schere - Das ist bekannt - Die listige Mähre - Ha, wird er entmannt? HERZOGIN Genug davon! Ein neues Bild. (Die Erscheinung erlischt.) Und gebet jetzt, wozu Ihr selbst gewillt. (Johannes und Salome erscheinen; daneben der Scharfrichter mit erhobenem Schwert. Letzterer trägt die Züge des Herzogs.) CHOR Johannes und Salome! FAUST Auf einene Wink Salomes fällt das Haupt. HERZOGIN (sich verratend) Er darf nicht sterben! FAUST Also liebt Ihr mich. HERZOGIN Ich bin des Herzogs Gattin. FAUST Dennoch liebt Ihr mich. HERZOGIN Schweigt! Ich bin nicht ehrlos, bin nicht frei! FAUST Komm, o komm! Folge mir nach. - Ich führe dich in die Unermesslichkeit der Welten. Die Erde sei den Reich, du ihre Königin, die Pracht des Orients. Komm! Die Kunst des Westens, was späte Zeiten einst zu Tage fördern: jetzt sind sie dein. Du kommst - du kommst. HERZOGIN (für sich) Ach, er berückt mich, betört mich, ergreift mich! Lasst mich, o lasst mich! Bin ich Euch feil? O still, o schweiget! HERZOG Endet das Spiel! MEPHISTOPHELES (Plötzlich zwischen das Paar tretend und gleichsma verkündend) Das Spiel - es ist so gut als wie beendet. (Er räumt vor dem hinzutretenden Herzog den Platz.) HERZOG (grimmig zu Faust) Ergötzlich war die Schau. Habt unsern Dank. Ihr seid mein Gast am herzoglichen Tische. (Kurze betroffene Stille, darauf eiliges ungeordnetes Abziehen der Gruppen. Er wendet Faust den Rücken und bietet der Herzogin den Arm.) CHOR Fort, zieht Euch zurück. Unheil schwebt. Fort! Fort! Fort! MEPHISTOPHELES Folgt ihnen nicht! FAUST Weshalb? MEPHISTOPHELES Entfleht. Verlasst den Hof! Den Herzog habt Ihr aufgereizt. Die Speisen sind vergiftet. Ich wag mich nicht hinein. Der hohe Klerus sitzt, im Ornat, beim Mahle. Nützet den Augenblick. FAUST Ich ziehe nicht allein. MEPHISTOPHELES Ich weiss. Das macht sich ganz von selbst. Es liegt in meinem Plan: also geschiet's. Nun kommt. (Sie ziehen zugleich mit den letzten Gästen schnell ab. Leere Bühne. Eine fahle Dämmerung beleuchtet die Szene.) HERZOGIN (Tritt auf die Bühne, wie im Traume schreitend, die Arme vorgestreckt) Er ruft mich… zieht mich… Er ruft mich wie mit tausend Stimmen, Zieht mich wie mit tausend Armen; Ich fühl, in einem, tausend Augenblicke Und jeder einzelne verkündet ihn, ihn allein. Wer ich gewesen, und was ich vorstellte, Ist mir entschwunden - she nur den einen Weg, Den Weg zum teuren Manne. Ja, ja, ich komme, Schreit zu dir Durch unbegrenzte Räume; Die Erde wird mein Reich, Ich ihre Königin! Was späte Zeiten einst zu Tage fördern, Wird bald alles mein - mein! Dann geh' ich an seiner Hand In unbegrenzte Bezirke. Bei dir, bei dir Die Unermesslichkeit. Faust, Du, mein Faust! Ich komme! Faust, Du, mein Faust, Ich folge dir! Ja, ich komme… folge dir. (Sie schreitet langsam hinaus. Plötzlicher Tag. Der Herzog und Mephistopheles, der als Hofkaplan erscheint.) HERZOG (heimlich und aufgeregt) Was Wichtiges, sagt Ihr? Was ist's, mein Vater? MEPHISTOPHELES Ergibt Euch, Fürst, die Herzogin entfloh! HERZOG Mit ihm? (Mephistopheles nickt.) Man setze ihnen nach! MEPHISTOPHELES Wonach? Ins Blaue? Mit diesen beiden Augen sah ich sie Auf Flügelrossen durch die Luft treiben. Am besten wär's, man hielte reinen Mund. Die Macht des Bösen ist nicht unterschätzbar. (Er nickt wieder.) Ich rate, Sohn, schaut Euch nach Neuem um. HERZOG Was sagt Ihr? MEPHISTOPHELES Hört nur. Ferraras Herzog droht Euch mit Krieg. Um dessen Schwester werbet. So läuft's im Guten ab. HERZOG Der Himmel spricht aus Euch. MEPHISTOPHELES Mein Sohn, fasse Vertrauen! (Mephistopheles erhebt die Rechte wie zu segnender Gebärde, aber die Hand spreizt sich zur Kralle. Der Herzog küsst Mephistopheles die Hand.) Symphonisches Intermezzo (Sarabande) ZWEITES BILD Schenke in Wittenberg. Faust und Studenten. CHOR (noch hinter dem Vorhang) So lang man Jugend hat, Lebt man als Nimmersatt. Bah! Juvenes dum sumus! Gaudeamus igitur. - Prosit, prosit, prosit! (Studenten an verschiedenen Tischen in geteilten Gruppen. Die Disputierenden enger um Faust sitzend; die Unbeteiligten mehr abseits.) ERSTER STUDENT Dass ihr mir die Platonische Lehre recht begreift - EIN STUDENT (andere Gruppe) So lange du trinken kannst, Füll dir den schlappen Wanst. CHOR Still! Denn es wird hier diskutiert. ERSTER STUDENT Dass ihr mir Platos Lehre ja recht begreifet: den Teller hier, den runden, ganzen Teller, mach ich zu Scherben. (Er zerbricht einen Teller.) CHOR Klatsch! ERSTER STUDENT Doch der Begriff des Tellers bleibt bestehen. CHOR Doch der Begriff des Tellers bleibt bestehen. ZWEITER STUDENT Doch der ist hin, Dein Witz kann ihn nicht kitten. ERSTER STUDENT Dank Gott, wenn deiner noch zusammenhält. THEOLOGE Dagegen eifern die Kirchenväter; Was Gott geschaffen, gilt als unzerstörbar, doch jedes Menschen Bau zerfällt in Nichts. EINIGE Zerfällt in Nichts - Nichts! NATURGELEHRTER Alles zerfällt, doch bildet es sich neu, verwandelt sich unendlich, geht über in verschiedne Formen und Gattungen. EIN ANDERER Als wie dein lustiger abendlicher Affe zum melancholischen Kater des Morgens wird. ERSTER STUDENT Doch die platonische Lehre - TH EOLOGE Was Gott geschaffen hat, das gilt. JURIST Nach dem Gesetz bleibt Eigentum geschützt. NATURGELEHRTER Alles zerfällt, verwandelt sich ewig. CHOR Prosit, prosit! So werden wir nicht fertig Bis zum Morgen, Mit Kater nicht, noch ohne Kater. ERSTER STUDENT Der Meister spreche. MEPHISTOPHELES Ja, der Meister spreche. FAUST Nichts ist bewiesen, und nichts ist beweisbar. Bei jeder Lehre hab ich neu geirrt. Gewiss ist nur, dass wir kommen um zu gehen: Was zwischen liegt, ist das, was uns betrifft. Drum weise ich auf des grossen Protestanten lebendigen Spruch - ERSTER STUDENT Den Spruch eines Abtrünnigen - (Hier gruppieren sich die beiden Studenten-Chöre in Katholiken und Protestanten.) ZWEITER STUDENT Eines Helden und Heiligen - DRITTER STUDENT Eines Prahlers - VIERTER STUDENT Eines Ketzers. EIN STUDENT Ich sehe ihn ganz als einen neuen Heiland, einen aufrechten deutschen Mann. ERSTER STUDENT Bah! Der rechte Heiland war doch gar kein Deutscher! CHOR DER PROTESTANTEN Ihr Päpstlichen bleibt doch die ärgsten Ketzer.