Wagner
Die Bühne stellt das Innere der Katharinenkircbe in schrägem Durchschnitt dar; von dem Hauptschiff, welches links ab, dem Hintergrunde zu, sich ausdehnend anzunehmen ist, sind nur noch die letzten Reihen der Kirchenstuhlbänke sichtbar. In der letzten Reihe der Kirchstühle sitzen Eva und Magdalene; Walther von Stolzing steht, in einiger Entfernung, zur Seite an eine Säule gelehnt, die Blicke auf Eva heftend, die sich wiederholt zu ihm umkehrt. Beide wechseln Blicke und Gebärden aus während des folgenden Chorals.
DIE GEMEINDE
Da zu dir der Heiland kam,
willig
seine Taufe nahm,
weihte sich dem Opfertod,
gab er uns des Heils Gebot
das wir durch sein' Tauf uns weihn,
seines Opfers wert zu sein.
Edler
Täufer!
Christs Vorläufer!
Nimm uns gnädig an,
dort am Fluss Jordan!
(Die Gemeinde erhebt sich. Alles wendet sich dem Ausgange zu und verlässt
unter dem Nachspiele allmählich die Kirche. - Walther heftet in höchster
Spannung seinen Blick auf Eva, welche ihren Sitz langsam verlässt und, von
Magdalene gefolgt, langsam in seine Nähe kommt. Da Walther Eva sich nähern
sieht, drängt er sich gewaltsam, durch die Kirchgänger durch, zu
ihr.)
WALTHER
Verweilt! - Ein Wort - ein einzig Wort!
EVA (sich schnell zu Magdalene umwendend)
Mein Brusttuch ... schau! Wohl liegt's im Ort.
MAGDALENE
Vergesslich Kind! Nun heisst es: such!
(Sie geht nach den Kirchstühlen zurück.)
WALTHER
Fräulein! Verzeiht der Sitte Bruch!
Eines zu wissen, Eines zu fragen,
was müsst ich nicht zu brechen
wagen?
Ob Leben oder Tod? Ob Segen oder Fluch?
Mit einem Worte sei
mir's vertraut: -
mein Fräulein, - sagt ...
MAGDALENE (wieder zurückkommend)
Hier
ist das Tuch.
EVA
O weh! Die Spange?
MAGDALENE
Fiel sie wohl ab?
(Sie geht abermals suchend nach hinten.)
WALTHER
Ob Licht und Lust, oder Nacht und Tod?
Ob ich erfahr, wonach ich verlange,
ob ich vernehme, wovor mir graut: -
Mein Fräulein - sagt ...
MAGDALENE (wieder zurückkommend)
Da ist
auch die Spange.
Komm, Kind! Nun hast du Spang und Tuch...
O weh, da
vergass ich selbst mein Buch!
(Sie geht nochmals eilig nach hinten.)
WALTHER
Dies eine Wort, Ihr sagt mir's nicht?
Die Silbe, die mein Urteil spricht?
ja oder nein! - ein flücht'ger
Laut:
mein Fräulein, sagt - seid Ihr schon Braut?
MAGDALENE (die zurückgekehrt ist und sich vor
Walther verneigt)
Sieh da! Herr Ritter?
Wie sind wir hochgeehrt:
mit Evchens Schutze
habt Ihr Euch gar beschwert!
Darf den Besuch des
Helden
ich Meister Pogner melden?
WALTHER (leidenschaftlich)
O, betrat ich doch
nie sein Haus!
MAGDALENE
Ei! Junker, was sagt Ihr da aus?
In Nürnberg
eben nur angekommen,
wart Ihr nicht freundlich aufgenommen?
Was Küch
und Keller, Schrein und Schrank
Euch bot, verdient es keinen Dank?
EVA
Gut, Lenchen, ach! das meint er ja nicht;
doch von mir wohl wünscht er Bericht, -
wie sag ich's schnell? Versteh
ich's doch kaum!
Mir ist, als wär ich gar wie im Traum! -
er frägt,
- ob ich schon Braut?
MAGDALENE (heftig erschrocken)
Hilf Gott!
Sprich nicht so laut!
jetzt lass uns nach Hause gehn; -
wenn uns die
Leut hier sehn!
WALTHER
Nicht eh'r, bis ich Alles weiss!
EVA (zu Magdalene)
S'ist leer, die Leut sind
fort.
MAGDALENE
Drum eben wird mir heiss!
Herr Ritter,
an andrem Ort!
(David tritt aus der Sakristei ein und macht sich darüber die schwarzen
Vorhänge zu schliessen.)
WALTHER
Nein! Erst dies Wort!
EVA (bittend zu Magdalene)
Dies Wort!
MAGDALENE (erblickt David und hält an; zärtlich
für sich)
David? Ei! David hier?
EVA (zu Magdalene)
Was sag ich? Sag du's mir!
MAGDALENE (zerstreut, öfter nach David sich
umsehend)
Herr Ritter, was Ihr die Jungfer fragt,
das ist so
leichtlich nicht gesagt.
Fürwahr ist Evchen Pogner Braut
EVA (lebhaft unterbrechend)
Doch hat noch
keiner den Bräut'gam erschaut!
MAGDALENE
Den Bräut'gam wohl noch niemand kennt,
bis morgen ihn das Gericht ernennt,
das dem Meistersinger erteilt den Preis
...
EVA
Und selbst die Braut ihm reicht das Reis.
WALTHER
Dem Meistersinger?
EVA (bang)
Seid Ihr das nicht?
WALTHER
Ein Werbgesang?
MAGDALENE
Vor Wettgericht.
WALTHER
Den Preis gewinnt?
MAGDALENE
Wen die Meister meinen.
WALTHER
Die Braut dann wählt? ...
EVA (sich vergessend)
Euch - oder keinen!
(Walther wendet sich, in grosser Erregung auf und aghehend zur Seite)
MAGDALENE (sehr erschrocken)
Was, Evchen!
Evchen! Bist du von Sinnen?
EVA
Gut' Lene, lass mich den Ritter gewinnen!
MAGDALENE
Sahst ihn doch gestern zum ersten Mal?
EVA
Das eben schuf mir so schnelle Qual,
dass
ich schon längst ihn im Bilde sah!
Sag, trat er nicht ganz wie David
nah?
MAGDALENE
Bist du toll! Wie David?
EVA
Wie David im Bild.
MAGDALENE
Ach! - meinst du den König mit der
Harfen
und langem Bart in der Meister Schild?
EVA
Nein! Der, des Kiesel den Goliath warfen,
das Schwert im Gurt, die Schleuder zur Hand,
das Haupt von lichten Locken
umstrahlt,
wie ihn uns Meister Dürer gemalt!
MAGDALENE (laut seufzend)
Ach, David! David!
DAVID (der hinausgegangen und jetzt wieder zurückkommt,
ein Lineal im Gürtel und ein grosses Stück weisser Kreide an einer
Schnur schwenkend)
Da bin ich: wer ruft?
MAGDALENE
Ach, David! Was Ihr für Unglück
schuft!
(beiseite)
Der liebe Schelm! Wüsst er's noch nicht?
(laut)
Ei, seht, da hat er uns gar verschlossen?
DAVID (zärtlich, zu Magdalene)
Ins Herz
Euch allein!
MAGDALENE (beiseite)
Das treue Gesicht! -
(laut)
Ei, sagt! Was treibt Ihr hier für Possen?
DAVID
Behüt es! Possen? Gar ernste Ding:
für
die Meister hier richt ich den Ring.
MAGDALENE
Wie? Gäb es ein Singen?
DAVID
Nur Freiung heut:
der Lehrling wird da
losgesprochen,
der nichts wider die Tabulatur verbrochen:
Meister
wird, wen die Prob nicht reut.
MAGDALENE
Da wär der Ritter ja am rechten Ort! -
.jetzt, Evchen, komm! Wir müssen fort!
WALTHER (schnell zu den Frauen sich wendend)
Zu Meister Pogner lasst mich euch geleiten!
MAGDALENE
Erwartet den hier, er ist bald da.
Wollt Ihr Evchens Hand erstreiten,
rückt Zeit und Ort das Glück
Euch nah. -
(Zwei Lehrbuben kommen dazu und tragen Bänke herbei.)
Jetzt
eilig von hinnen!
WALTHER
Was soll ich beginnen?
MAGDALENE
Lasst David Euch lehren
die Freiung
begehren. -
Davidchen! Hör, mein lieber Gesell:
den Ritter hier
bewahr mir wohl zur Stell!
Was Fein's aus der Küch
bewahr ich für
dich,
und morgen begehr du noch dreister,
wird hier der Junker heut
Meister.
(Sie drängt Eva zum Fortgehen.)
EVA (zu Walther)
Sch ich Euch wieder?
WALTHER (sehr feurig)
Heut abend gewiss!
Was ich will wagen,
wie könnt ich's sagen?
Neu ist mein Herz, neu
mein Sinn,
neu ist mir Alles, was ich beginn.
Eines nur weiss ich,
Eines begreif ich:
mit allen Sinnen
Euch zu gewinnen!
Ist's mit
dem Schwert nicht, muss es gelingen,
gilt es als Meister Euch zu ersingen.
Für Euch Gut und Blut,
für Euch
Dichters heil'ger Mut!
EVA (mit grosser Wärme)
Mein Herz,
sel'ger Glut,
für Euch
liebesheil'ge Hut!
MAGDALENE
Schnell heim! Sonst geht's nicht gut!
DAVID (der Walther verwunderungsvoll gemessen)
Gleich Meister? Oho! Viel Mut!
(Magdalene zieht Eva eilig durch die Vorhänge nach sich fort. Walther
wirft sich aufgeregt und brütend, in einen erhöhten, kathederartigen
Lehnstuhl, welchen zuvor zwei Lehrbuben von der Wand ab, mehr nach der Mitte zu
gerückt hatten.)
Noch mehrere Lehrbuben sind eingetreten: sie tragen und stellen Bänke und richten alles zur Sitzung der Meistersinger her.
ZWEITER LEHRBUBE
David! Was stehst?
ERSTER LEHRBUBE
Greif an's Werk!
ZWEITER LEHRBUBE
Hilf uns richten das Gemerk!
DAVID
Zu eifrigst war ich vor euch Allen;
schafft nun für euch, hab ander Gefallen!
LEHRBUBEN
Was der sich dünkt! -
Der
Lehrling Muster! -
Das macht, weil sein Meister ein Schuster! -
Beim
Leisten sitzt er mit der Feder! -
Beim Dichten mit Draht und Pfriem! -
Sein Verse schreibt er auf rohes Leder. -
Das - dächt ich - gerbten
wir ihm!
(Sie machen sich lachend an die fernere Herrichtung.)
DAVID (nachdem er den sinnenden Ritter eine Weile
betrachtet)
Fanget an!
WALTHER (verwundert)
Was soll's?
DAVID (noch stärker)
Fanget an! - So
ruft der Merker: -
nun sollt Ihr singen! Wisst Ihr das nicht?
WALTHER
Wer ist der Merker?
DAVID
Wisst Ihr das nicht?
Wart Ihr noch nie bei
'nem Singgericht?
WALTHER
Noch nie, wo die Richter Handwerker.
DAVID
Seid Ihr ein Dichter?
WALTHER
Wär ich's doch!
DAVID
Seid Ihr ein Singer?
WALTHER
Wüsst ich's noch?
DAVID
Doch "Schulfreund" wart Ihr,
und
"Schüler" zuvor?
WALTHER
Das klingt mir alles fremd vorm Ohr.
DAVID
Und so grad hin wollt Ihr Meister werden?
WALTHER
Wie machte das so grosse Beschwerden?
DAVID
O Lene! Lene!
WALTHER
Wie Ihr doch tut!
DAVID
O Magdalene!
WALTHER
Ratet mir gut!
DAVID
Mein Herr! Der Singer Meisterschlag
gewinnt sich nicht an einem Tag.
In Nüremberg der grösste Meister
mich lehrt die Kunst Hans Sachs;
schon voll ein Jahr mich unterweist er,
dass ich als Schüler wachs.
Schuhmacherei und Poeterei,
die lern
ich da alleinerlei;
hab ich das Leder glatt geschlagen,
lern ich Vokal
und Konsonanz sagen;
wichst ich den Draht erst fest und steif,
was
sich dann reimt, ich wohl begreif.
Den Pfriemen schwingend
im Stich
die Ahl,
was stumpf, was klingend,
was Mass, was Zahl -
den
Leisten im Schurz,
was lang, was kurz,
was hart, was lind,
hell
oder blind,
was Waisen, was Milben,
was Klebsilben,
was Pausen,
was Körner,
was Blumen, was Dörner, -
das Alles lernt ich
mit Sorg und Acht:
wie weit nun, meint Ihr, dass ich's gebracht?
WALTHER
Wohl zu 'nen Paar recht guter Schuh? -
DAVID
Ja, dahin hat's noch gute Ruh!
Ein "Bar"
hat manch Gesätz und Gebänd,
wer da gleich die rechte Regel fänd,
-
die richt'ge Naht
und den rechten Draht,
mit gut gefügten
Stollen
den Bar recht zu versohlen.
Und dann erst kommt der Abgesang,
dass er nicht kurz, und nicht zu lang,
und auch keinen Reim enthält,
der schon im Stollen gestellt.
Wer alles das merkt, weiss und kennt,
wird doch immer noch nicht Meister genennt.
WALTHER
Hilf Gott! Will ich denn Schuster sein?
In die Singkunst lieber führ mich ein!
DAVID
Ja - hätt ich's nur selbst schon zum
Singer gebracht!
Wer glaubt wohl, was das für Mühe macht!
Der Meister Tön und Weisen,
gar viel an Nam und Zahl,
die starken
und die leisen,
wer die wüsste allzumal!
Der kurze, lang und überlang
Ton,
die Schreibpapier-, Schwarz-tintenwei,
der rote, blau und grüne
Ton;
die Hageblüh-, Strohhalm-, Fenchelweis,
der zarte, der süsse,
der Rosenton;
der kurzen Liebe, der vergess'ne Ton,
die Rosmarin-,
Gelbveigleinweis,
die Regenbogen-, die Nachtigallweis';
die englische
Zinn-, die Zimmtröhrenweis,
frisch Pomeranzen-, grün Lindenblüh'weis;
die Frösch-, die Kälber-, die Stieglitzweis',
die abgeschiedne
Vielfrassweis,
der Lerchen-, der Schnekken-, der Bellerton;
die
Melissenblümlein-, die Meiranweis',
gelb Löwenhaut-, treu
Pelikanweis';
die buntglänzende Drahtweis'
WALTHER
Hilf Himmel! Welch endlos Tönegeleis!
DAVID
Das sind erst die Namen; nun lernt sie singen,
recht wie die Meister sie gestellt.
Jed' Wort und Ton muss klärlich
klingen,
wo steigt die Stimm und wo sie fällt;
fangt nicht zu
hoch, zu tief nicht an,
als es die Stimm erreichen kann.
Mit dem Atem
spart, dass er nicht knappt,
und gar am End überschnappt;
vor dem
Wort mit der Stimme ja nicht summt,
nach dem Wort mit dem Mund auch nicht
brummt.
Nicht ändert an Blum und Koloratur,
jed' Zierat fest nach
des Meisters Spur.
Verwechseltet Ihr, Ihr würdet gar irr;
verlört
Ihr Euch, und kämt ins Gewirr: -
wär' sonst Euch Alles auch
gelungen,
da hättet Ihr gar versungen! -
Trotz grossem Fleiss und
Emsigkeit,
ich selbst noch bracht es nicht so weit.
so oft ich's
versuch, und's nicht gelingt,
die Knieriem-Schlagweis' der Meister mir
singt.
Wenn dann Jungfer Lene nicht Hilfe weiss,
sing ich die eitel
Brot- und Wasserweis'.
Nehmt Euch ein Beispiel dran,
und lasst vom
Meisterwahn!
Denn Singer und Dichter müsst Ihr sein,
eh Ihr zum
Meister kehret ein.
LEHRBUBEN (während der Arbeit)
David!
WALTHER
Wer ist nun "Dichter"?
LEHRBUBEN
David! Kommst her?
DAVID (zu den Lebrbuben)
Wartet nur! Gleich!
-
(schnell wieder zu Walther sich wendend)
Wer "Dichter" wär'?
Habt Ihr zum Singer Euch aufgeschwungen,
und der Meister Töne richtig
gesungen;
fügtet Ihr selbst nun Reim und Wort,
dass sie genau an
Stell und Ort
passten zu eines Meisters Ton,
dann trügt Ihr den
Dichterpreis davon.
LEHRBUBEN
He! David! Soll man's dem Meister klagen?
Wirst dich bald deines Schwatzens entschlagen?
DAVID
Oho! jawohl! Denn helf ich euch nicht,
ohne mich wird alles doch falsch gericht't!
WALTHER (ihn zurückhaltend)
Nur dies
noch-. - wer wird "Meister" genannt?
DAVID
Damit, Herr Ritter, ist's so bewandt: -
der Dichter, der aus eignem Fleisse
zu Wort und Reimen, die er erfand,
aus Tönen auch fügt eine neue Weise:
der wird als Meistersinger
erkannt.
WALTHER
So bleibt mir einzig der Meister-Lohn!
Muss ich singen,
kann's nur gelingen,
find ich zum Vers auch den
eignen Ton.
DAVID (der sich zu den Lehrbuben gewendet hat) Was mach Ihr denn da? Ja, fehl ich beim Werk,Verkehrt nur richtet ihr Stuhl und Gemerk! Ist denn heut Singschul'? Dass ihr's wisst! Das kleine Gemerk! Nur Freiung ist.
(Die Lehrbuben, welche in der Mitte der Bühne ein grösseres Gerüste mit Vorhängen aufgeschlagen hatten, schaffen auf Davids Weisung dies schnell bei Seite und stellen dafür ebenso eilig ein geringeres Brettergerüst auf; darauf stellen sie einen Stuhl mit einem kleinen Pult davor, daneben eine grosse schwarze Tafel, daran die Kreide am Faden aufgehängt wird; um das Gerüst sind schwarze Vorhänge angebracht, welche zunächst hinten und an den beiden Seiten, dann auch vorn ganz zusammengezogen werden.)
DIE LEHRBUBEN (während der Herrichtung)
Aller End ist doch David der Allergescheit'st;
nach hohen Ehren ganz sicher
er geizt.
S'ist Freiung heut!
gewiss er freit;
als vornehmer
Singer er schon sich spreizt.
Die Schlagreime fest er inne hat,
arm
Hungerweise singt er glatt!
Doch die harte Trittweise, die kennt er am
best,
die trat ihm der Meister hart und fest.
(Sie lachen.)
DAVID
Ja, lacht nur zu! Heut bin ich's nicht.
Ein andrer stellt sich zum Gericht;
der war nicht Schüler, ist nicht
Singer,
den Dichter - sagt er - überspring' er;
denn er ist
Junker,
und mit einem Sprung er
denkt ohne weitre Beschwerden
heut hier Meister zu werden.
Drum richtet nur fein
das Gemerk dem ein!
Dorthin! Hierher! Die Tafel an die Wand,
so dass sie recht dem Merker zur
Hand!
(zu Walther sich umwendend)
Ja, ja dem Merker! Wird Euch wohl bang?
Vor ihm schon mancher Werber versang.
Sieben Fehler gibt er Euch vor,
die merkt er mit Kreide dort an:
wer über sieben Fehler verlor,
hat versungen und ganz vertan!
Nun nehmt Euch in Acht:
Der Merker
wacht!
Glück auf zum Meistersingen!
Mögt Euch das Kränzlein
erschwingen!
Das Blumenkränzlein aus Seiden fein,
wird das dem
Herrn Ritter beschieden sein?
DIE LEHRBUBEN (welche zu gleicher Zeit das Gemerk
geschlossen haben, lassen sich an und tanzen einen verschlungenen Reigen um
dasselbe)
Das Blumenkränzlein aus Seiden fein, wird das dem Herrn
Ritter
beschieden sein?
(Die Lehrbuben fahren sogleich erschrocken auseinander, als die Sakristei
aufgeht und Pogner mit Beckmesser eintritt; sie ziehen sich nach hinten zurück.)
Zur Seite rechts sind gepolsterte Bänke in der Weise aufgestellt, dass sie einen schwachen Halbkreis nach der Mitte zu bilden. Am Ende der Bänke, in der Mitte der Bühne, befindet sich das "Gemerk" benannte Gerûste, welches zuvor hergerichtet worden. Zur linken Seite steht nur der erhöhte, kathederartige Stuhl ("der Singstuhl") der Versammlung gegenüber. Im Hintergrunde, den grossen Vorhang entlang, steht eine lange niedere Bank für die Lehrlinge. - Walther, verdriesslich über das Gespött der Knaben, hat sich auf die vordere Bank niedergelassen. - Pogner und Beckmesser sind im Gespräch aus der Sakristei aufgetreten. Die Lehrbuben harren ehrerbietig vor der hinteren Bank stehend. Nur David stellt sich anfänglich am Eingang bei der Sakristei auf.
POGNER (zu Beckmesser)
Seid meiner Treue wohl
versehen,
was ich bestimmt, ist Euch zu Nutz:
im Wettgesang müsst
Ihr bestehen,
wer böte Euch als Meister Trutz?
BECKMESSER
Doch wollt Ihr von dem Punkt nicht
weichen,
der mich - ich sag's - bedenklich macht:
kann Evchens Wunsch
den Werber streichen,
was nützt mir meine Meister-Pracht?
POGNER
Ei sagt, ich mein, vor allen Dingen
sollt
Euch an dem gelegen sein?
Könnt Ihr der Tochter Wunsch nicht zwingen,
wie möchtet Ihr wohl um sie frein?
BECKMESSER
Ei ja! Gar wohl! Drum eben bitt ich,
dass bei dem Kind Ihr für mich sprecht,
wie ich geworben zart und
sittig,
und wie Beckmesser grad Euch recht.
POGNER
Das tu ich gern.
BECKMESSER (beiseite)
Er lässt nicht
nach.
Wie wehrt ich da 'nem Ungemach?
WALTHER (der, als er Pogner gewahrt, aufgestanden und
ihm entgegengegangen ist, verneigt sich vor ihm.)
Gestattet, Meister!
POGNER
Wie, mein Junker?
Ihr sucht mich in der
Singschul hie?
(Pogner und Walther wechseln Begrüssungen.)
BECKMESSER (immer beiseite)
Verstünden's
die Fraun; doch schlechtes Geflunker
gilt ihnen mehr als all' Poesie.
WALTHER
Hier eben bin ich am rechten Ort:
gesteh
ich's frei, vom Lande fort
was mich nach Nürnberg trieb,
war nur
zur Kunst die Lieb.
Vergass ich's gestern Euch zu sagen,
heut muss
ich's laut zu künden wagen:
ein Meistersinger möcht ich sein!
Schliesst, Meister, in die Zunft mich ein!
(Kunz Vogelgesang und Konrad Nachtigall sind eingetreten.)
POGNER (zu den Hinzutretenden sich wendend)
Kunz Vogelgesang! Freund Nachtigall!
Hört doch, welch ganz besondrer
Fall:
der Ritter hier, mir wohl bekannt,
hat der Meisterkunst sich
zugewandt.
(Vorstellungen und Begrüssungen; andre Meistersinger treten noch dazu.)
BECKMESSER (für sich)
Noch such ich's zu
wenden; doch, sollt's nicht gelingen,
versuch ich des Mädchens Herz zu
ersingen:
in stiller Nacht, von ihr nur gehört,
erfahr ich, ob
auf mein Lied sie schwört.
(Walther erblickend)
Wer ist der Mensch? -
POGNER (zu Walther)
Glaubt, wie mich's freut!
Die alte Zeit dünkt mich erneut.
BECKMESSER (für sich)
Er gefällt
mir nicht!
POGNER
Was Ihr begehrt,
BECKMESSER
Was will er hier?
POGNER
... so viel an mir,
BECKMESSER
Wie der Blick ihm lacht!
POGNER
... sei's Euch gewährt.
Half ich
Euch gern bei des Gut's Verkauf,
BECKMESSER
Holla! Sixtus!
POGNER
in die Zunft nun nehm ich Eudi gleich gern
auf.
BECKMESSER
Auf den hab Acht!
WALTHER (zu Pogner)
Habt Dank der Güte
aus tiefstem Gemüte!
Und darf ich denn hoffen?
Steht heut mir
noch offen,
zu werben um den Preis,
dass Meistersinger ich heiss?
BECKMESSER
Oho! Fein sacht! Auf dem Kopf steht kein
Kegel!
POGNER
Herr Ritter, dies geh nun nach der Regel.
Doch heut ist Freiung; ich schlag Euch vor:
mir leihen die Meister ein
willig Ohr!
(Die Meistersinger sind nun alle angelangt, zuletzt auch Hans Sachs.)
SACHS
Gott grüss Euch, Meister!
VOGELGESANG
Sind wir beisammen?
BECKMESSER
Der Sachs ist ja da!
NACHTIGALL
So ruft die Namen.
KOTHNER (zieht eine Liste hervor, stellt sich zur
Seite auf und ruft laut:)
Zu einer Freiung und Zunftberatung
ging
an die Meister ein' Einladung:
bei Nenn' und Nam',
ob jeder kam,
ruf ich nun auf als letzt-Entbot'ner,
der ich mich nenn' und bin Fritz
Kothner. -
Seid Ihr da, Veit Pogner?
POGNER
Hier zur Hand!
(Ersetzt sich.) -
KOTHNER
Kunz Vogelgesang?
VOGELGESANG
Ein sich fand.
(Setzt sich.)
KOTHNER
Hermann Ortel?
ORTEL
Immer am Ort.
(Setzt sich.)
KOTHNER
Balthasar Zorn?
ZORN
Bleibt niemals fort.
(Setzt sich.)
KOTHNER
Konrad Nachtigall?
NACHTIGALL
Treu seinem Schlag.
(Setzt sich.)
KOTHNER
Augustin Moser?
MOSER
Nie fehlen mag.
(Setzt sich.)
KOTHNER
Niklaus Vogel? Schweigt?
EIN LEHRBUBE (von der Bank aufstehend)
Ist
krank!
KOTHNER
Gut Bess'rung dem Meister!
ALLE MEISTER
Walt's Gott!
DER LEHRBUBE
Schön' Dank!
(Er setzt sich wieder nieder.)
KOTHNER
Hans Sachs?
DAVID
Da steht er!
SACHS (drohend zu David)
Juckt dich das Fell?
-
Verzeiht, Meister! - Sachs ist zur Stell.
(Er setzt sich.)
KOTHNER
Sixtus Beckmesser?
BECKMESSER
Immer bei Sachs,
dass den Reim ich
lern von "blüh' und wachs-
(Er setzt sich neben Sachs; dieser lacht.)
KOTHNER
Ulrich Eisslinger?
EISSLINGER
Hier!
(Setzt sich.)
KOTHNER
Hans Foltz?
FOLTZ
Bin da.
(Setzt sich.)
KOTHNER
Hans Schwarz?
SCHWARZ
Zuletzt: Gott wollt's!
(Setzt sich.)
KOTHNER
Zur Sitzung gut und voll die Zahl.
Beliebt's wir schreiten zur Merkerwahl?
VOGELGESANG
Wohl eh'r nach dem Fest?
BECKMESSER (zu Kothner)
Pressiert's den
Herrn?
Mein Stell und Amt lass ich ihm gern.
POGNER
Nicht doch, ihr Meister; lasst das jetzt fort!
Für wicht'gen Antrag bitt ich ums Wort.
(Die Meister stehen auf und setzen sich wieder.)
KOTHNER
Das habt Ihr; Meister, sprecht!
POGNER
Nun hört, und versteht mich recht! -
Das schöne Fest, Johannistag,
ihr wisst, begehn wir morgen:
auf
grüner Au', am Blumenhag,
bei Spiel und Tanz im Lustgelag,
an
froher Brust geborgen,
vergessen seiner Sorgen,
ein jeder freut sich
wie er mag.
Die Singschul,ernst im Kirchenchor
die Meister selbst
vertauschen;
mit Kling und Klang hinaus zum Tor
auf offne Wiese ziehn
sie vor;
bei hellen Festes Rauschen
das Volk sie lassen lauschen
dem Freigesang mit Laienohr.
Zu einem Werb- und Wettgesang
gestellt
sind Siegespreise,
und beide preist man weit und lang,
die Gabe wie
die Weise.
Nun schuf mich Gott zum reichen Mann;
und gibt ein jeder,
wie er kann,
so musste ich wohl sinnen,
was ich gäb zu gewinnen,
dass ich nicht käm zu Schand:
so hört denn, was ich fand.
In deutschen Landen viel gereist,
hat oft es mich verdrossen,
dass man
den Bürger wenig preist,
ihn karg nennt und verschlossen.
An Höfen,
wie an niedrer Statt,
des bittren Tadels ward ich satt,
dass nur auf
Schacher und Geld
sein Merk der Bürger stellt.
Dass wir im weiten
deutschen Reich
die Kunst einzig noch pflegen,
dran dünkt ihnen
wenig gelegen.
Doch wie uns das zur Ehre gereich,
und dass mit hohem
Mut
wir schätzen, was schön und gut,
was wert die Kunst, und
was sie gilt,
das ward ich der Welt zu zeigen gewillt;
drum hört,
Meister, die Gab,
die als Preis bestimmt ich hab!
Dem Singer, der im
Kunstgesang
vor allem Volk den Preis errang,
am Sankt-Johannis-Tag,
sei er wer er auch mag,
dem geb ich, ein Kunst-Gewogner,
von Nürenberg
Veit Pogner,
mit all meinem Gut, wie's geh und steh,
Eva, mein einzig
Kind, zur Eh'.
DIE MEISTER (sehr lebhaft durcheinander)
Das
heisst ein Wort, ein Wort ein Mann!
Da sieht man., was ein Nürnberger
kann!
Drob preist man Euch noch weit und breit,
den wackren Bürger,
Pogner Veit!
DIE LEHRBUBEN
Alle Zeit! Weit und breit!
Pogner
Veit!
VOGELGESANG
Wer möchte da nicht ledig sein!
SACHS
Sein Weib gäb mancher gern wohl drein.
KOTHNER
Auf, ledig Mann!
jetzt macht euch 'ran!
POGNER
Nun hört noch, wie ich's ernstlich mein!
Ein' leblos Gabe geb ich nicht;
ein Mägdlein sitzt mit zum Gericht:
den Preis erkennt die Meisterzunft;
doch, gilt's der Eh', so will's
Vernunft,
dass ob der Meister Rat
die Braut den Ausschlag hat.
BECKMESSER (zu Kothner gewandt)
Dünkt
Euch das klug?
KOTHNER
Versteh ich gut,
Ihr gebt uns in des Mägdleins
Hut?
BECKMESSER
Gefährlich das!
KOTHNER
Stimmt es nicht bei,
wie wäre dann
der Meister Urteil frei?
BECKMESSER
Lasst's gleich wählen nach Herzens
Ziel,
und lasst den Meistergesang aus dem Spiel!
POGNER
Nicht so! Wie doch? Versteht mich recht!
Wem ihr Meister den Preis zusprecht,
die Maid kann dem verwehren,
doch
nie einen andren begehren.
Ein Meistersinger muss er sein,
nur wen ihr
krönt, den soll sie frei'n.
SACHS
Verzeiht,
vielleicht schon ginget ihr zu
weit.
Ein Mädchenherz und Meisterkunst
erglühn nicht stets
in gleicher Brunst
der Frauen Sinn, gar unbelehrt;
dünkt mich dem
Sinn des Volks gleich wert.
Wollt ihr nun vor dem Volke zeigen,
wie
hoch die Kunst ihr ehrt,
und lasst ihr dem Kind die Wahl zu eigen,
wollt nicht, dass dem Spruch es wehrt
so lasst das Volk auch Richter sein:
mit dem Kinde sicher stimmt's überein.
DIE MEISTER (untereinander)
Oho! Das Volk?
Ja, das wäre schön!
Ade dann Kunst und Meister-Tön'!
KOTHNER
Nein, Sachs! Gewiss, das hat keinen Sinn!
Gebt Ihr dem Volk die Regeln hin?
SACHS
Vernehmt mich recht! Wie ihr doch tut!
Gesteht, ich kenn die Regeln gut;
und dass die Zunft die Regeln bewahr,
bemüh ich mich selbst schon manches Jahr.
Doch einmal im Jahre fänd
ich's weise,
dass man die Regeln selbst probier,
ob in der Gewohnheit
trägem Gleise
ihr' Kraft und Leben nicht sich verlier.
Und ob ihr
der Natur
noch seid auf rechter Spur,
das sagt euch nur,
wer
nichts weiss von der Tabulatur.
(Die Lehrbuben springen auf und reiben sich die Hände.)
LEHRBUBEN
Ha ha hat
BECKMESSER
Hei wie sich die Buben freuen!
SACHS (eifrig fortfahrend)
Drum möcht'
es euch nie gereuen,
dass jährlich am Sankt-Johannes-Fest,
statt
dass das Volk man kommen lässt,
herab aus hoher Meisterwolk
ihr
selbst euch wendet zu dem Volk.
Dem Volke wollt ihr behagen;
nun dächt
ich, läg es nah,
ihr liesst es selbst euch auch sagen,
ob das ihm
zur Lust geschah!
Dass Volk und Kunst gleich blüh und wachs,
bestellt ihr so, mein ich, Hans Sachs!
VOGELGESANG
Ihr meint's wohl recht!
KOTHNER
Doch steht's drum faul.
NACHTIGALL
Wenn spricht das Volk, halt ich das Maul.
KOTHNER
Der Kunst droht allweil Fall und Schmach,
läuft sie der Gunst des Volkes nach.
BECKMESSER
Drin bracht er's weit, der hier so dreist:
Gassenhauer dichtet er meist.
POGNER
Freund Sachs! Was ich mein, ist schon neu:
zuviel auf einmal brächte Reu.
So frag ich, ob den Meistern gefällt
Gab' und Regel, so wie ich's gestellt?
(Die Meister erheben sich beistimmend.)
SACHS
Mir genügt der Jungfer Ausschlagstimm.
BECKMESSER (für sich)
Der Schuster weckt
doch stets mir Grimm!
KOTHNER
Wer schreibt sich als Werber ein?
Ein
Junggesell muss es sein.
BECKMESSER
Vielleicht auch ein Witwer? Fragt nur den
Sachs!
SACHS
Nicht doch, Herr Merker! Aus jüngrem
Wachs,
als ich und Ihr, muss der Freier sein,
soll Evchen ihm den
Preis verleihn.
BECKMESSER
Als wie auch ich? - Grober Gesell!
KOTHNER
Begehrt wer Freiung, der komm zur Stell'!
Ist jemand gemeld't der Freiung begehrt?
POGNER
Wohl, Meister! Zur Tagesordnung kehrt,
und nehmt von mir Bericht,
wie ich auf Meisterpflicht
einen jungen
Ritter empfehle,
der will, dass man ihn wähle,
und heut als
Meistersinger frei.
Mein Junker Stolzing - kommt herbei!
(Walther tritt hervor und verneigt sich)
BECKMESSER (beiseite)
Dacht ich mir's doch!
Geht's da hinaus,Veit? -
(laut)
Meister, ich mein, zu spät ist's der Zeit!
DIE MEISTER (untereinander)
Der Fall ist neu:
- Ein Ritter gar?
Soll man sich freun? - Oder wär' Gefahr?
Immerhin hat's ein gross Gewicht,
dass Meister Pogner für ihn spricht.
KOTHNER
Soll uns der Junker willkommen sein,
zuvor muss er wohl vernommen sein.
POGNER
Vernehmt ihn wohl! Wünsch ich ihm Glück,
nicht bleib ich doch hinter der Regel zurück.
Tut, Meister, die
Fragen!
KOTHNER
So mög uns der Junker sagen:
Ist er
frei und ehrlich geboren?
POGNER
Die Frage gebt verloren,
da ich euch
selbst dess Bürge steh,dass er aus frei und edler Eh':
von Stolzing
Walther aus Frankenland,
nach Brief und Urkund mir wohlbekannt.
Als
seines Stammes letzter Spross
verliess er neulich Hof und Schloss,
und
zog nach Nürnberg her,
dass er hier Bürger wär.
BECKMESSER
Neu-Junkerunkraut - tut nicht gut!
NACHTIGALL
Freund Pogners Wort Genüge tut.
SACHS
Wie längst von den Meistern beschlossen
ist,
ob Herr, ob Bauer, hier nichts beschliesst; frägt sich's nach der
Kunst allein,
wer will ein Meistersinger sein.
KOTHNER
Drum nun frag ich zur Stell:
welch
Meister seid Ihr Gesell?
WALTHER
Am stillen Herd in Winterszeit,
wann
Burg und Hof mir eingeschneit, -
wie einst der Lenz so lieblich lacht,
und wie er bald wohl neu erwacht, -
ein altes Buch, vom Ahn vermacht,
gab das mir oft zu lesen:
Herr Walther von der Vogelweid,
der ist mein
Meister gewesen.
SACHS
Ein guter Meister!
BECKMESSER
Doch lang schon tot,
wie lehrt ihn
der wohl der Regeln Gebot?
KOTHNER
Doch in welcher Schul das Singen
mocht
Euch zu lernen gelingen?
WALTHER
Wann dann die Flur vom Frost befreit,
und wiederkehrt die Sommerszeit,
was einst in langer Wintersnacht
das
alte Buch mir kund gemacht,
das schallte laut in Waldes Pracht,
das hört
ich hell erklingen:
im Wald dort auf der Vogelweid
da lernt ich auch
das Singen.
BECKMESSER
Oho! Von Finken und Meisen
lerntet
Ihr Meisterweisen?
Das wird denn wohl auch darnach sein!
VOGELGESANG
Zwei art'ge Stollen fasst er da ein.
BECKMESSER
Ihr lobt ihn, Meister Vogelgesang,
wohl weil vom Vogel er lernt den Gesang?
KOTHNER
Was meint ihr, Meister, frag ich noch fort?
Mich dünkt, der Junker ist fehl am Ort.
SACHS
Das wird sich bäldlich zeigen:
wenn
rechte Kunst ihm eigen,
und gut er sie bewährt,
was gilt's, wer
sie ihn gelehrt?
KOTHNER (zu Walther)
Seid Ihr bereit, ob Euch
geriet
mit neuer Find' ein Meisterlied,
nach Dicht' und Weis' eu'r
eigen,
zur Stunde jetzt zu zeigen?
WALTHER
Was Winternacht,
was Waldespracht,
was Buch und Hain mich wiesen,
was Dichtersanges Wundermacht
mir
heimlich wollt erschliessen;
was Rosses Schritt
beim Waffenritt,
was Reihentanz
bei heitrem Schanz
mir sinnend gab zu lauschen:
gilt es des Lebens höchsten Preis
um Sang mir einzutauschen,
zu
eignem Wort und eigner Weis'
will einig mir es fliessen,
als
Meistersang, ob den ich weiss,
euch Meistern sich ergiessen.
BECKMESSER
Entnahmt ihr was der Worte Schwall?
VOGELGESANG
Ei nun, er wagt's!
NACHTIGALL
Merkwürd'ger Fall!
KOTHNER
Nun, Meister! Wenn's gefällt,
werd
das Gemerk bestellt.
(zu Walther)
Wählt der Herr einen heil'gen Stoff?
WALTHER
Was heilig mir,
der Liebe Panier
schwing und sing ich, mir zu Hoff'.
KOTHNER
Das gilt uns weltlich. Drum allein,
Meister Beckmesser, schliesst Euch ein!
BECKMESSER (erhebt sich und schreitet wie widerwillig
dem Gemerk zu)
Ein saures Amt, und heut zumal!
Wohl gibt's mit der
Kreide manche Qual!
(Er verneigt sich gegen Walther.)
Herr Ritter, wisst:
Sixtus
Beckmesser Merker ist;
hier im Gemerk
verrichtet er still sein
strenges Werk.
Sieben Fehler gibt er Euch vor,
die merkt er mit Kreide
dort an:
wenn er über sieben Fehler verlor,
dann versang der Herr
Rittersmann.
(Er setzt sich im Gemerk.)
Gar fein er hört;
doch, dass
er Euch den Mut nicht stört,
säh't Ihr ihm zu,
so gibt er
Euch Ruh,
ind schliesst sich gar hier ein, -
lässt Gott Euch
befohlen sein.
(Er streckt den Kopf, höhnisch freundlich nickend, heraus und
verschwindet hinter dem eingezogenen Vorbange des Gemerks gänzlich.)
KOTHNER (zu Walther)
Was Euch zum Liede Richt
und Schnur,
vernehmt nun aus der Tabulatur!
(Die Lehrbuben haben die an der Wand aufgehängte Tafel der "Leges
Tabulaturae" herabgenommen und halten sie Kotbner vor; dieser liest
daraus.)
"Ein jedes Meistergesanges Bar
stell ordentlich ein
Gemässe dar
aus unterschiedlichen Gesätzen,
die keiner soll
verletzen.
Ein Gesätz besteht aus zweenen Stollen,
die gleiche
Melodei haben sollen;
der Stoll aus etlicher Vers' Gebänd,
der
Vers hat einen Reim am End.
Darauf so folgt der Abgesang,
der sei auch
etlich Verse lang,
und hab sein' besondre Melodei,
als nicht im
Stollen zu finden sei.
Derlei Gemässes mehre Baren
soll ein jed'
Meisterlied bewahren;
und wer ein neues Lied gericht,
das über
vier der Silben nicht
eingreift in andrer Meister Weis',
des Lied
erwerb sich Meisterpreis!"
(Er gibt die Tafel den Lehrbuben zurück; diese hängen sie wieder
auf.)
Nun setzt Euch in den Singestuhl.
WALTHER
Hier - in den Stuhl?
KOTHNER
Wie's Brauch der Schul.
WALTHER (besteigt den Stuhl und setzt sich mit Widerstreben.Bei Seite)
Für dich,Geliebte,sei's getan!
KOTHNER (sehr laut)
Der Sänger sitzt.
BECKMESSER (unsichtbar im Gemerk, sehr laut)
Fanget an!
WALTHER
Fanget an!
So rief der Lenz in den
Wald,
dass laut es ihn durchhallt:
und, wie in fern'ren Wellen
der Hall von dannen flieht,
von weit her naht ein Schwellen,
das mächtig
näher zieht.
Es schwillt und schallt,
es tönt der Wald
von holder Stimmen Gemenge;
nun laut und hell,
schon nah zur Stell,
wie wächst der Schwall.
Wie Glockenhall
ertost des Jubels Gedränge!
Der Wald ,
wie bald
antwortet er dem Ruf,
der neu ihm Leben
schuf:
stimmte an
das süsse Lenzeslied. -
(Man hört aus dem Gemerk unmutige Seufzer des Merkers und heftiges
Anstreichen mit der Kreide. Auch Walther hat es bemerkt; nach kurzer Störung
fährt er fort.)
In einer Dornenhecken,
von Neid und Gram
verzehrt,
musst er sich da verstecken,
der Winter, Grimmbewehrt:
von dürrem Laub umrauscht, er lauert da und lauscht
wie er das frohe
Singen
zu Schaden könnte bringen.
(Er steht vom Stuhle auf.)
Doch: fanget an! -
So rief es mir in die Brust,
als noch ich von Liebe
nicht wusst.
Da fühlt ich's tief sich regen,
als weckt es mich
aus dem Traum;
mein Herz mit bebenden Schlägen
erfüllte des
Busens Raum;
Das Blut, es wallt
mit Allgewalt,
geschwellt von
neuem Gefühle;
aus warmer Nacht,
mit Übermacht,
schwillt mir zum Meer
der Seufzer Heer
in wildem Wonnegewühle.
Die Brust
wie bald
antwortet sie dem Ruf,
der neu ihr Leben
schuf;
stimmt nun an
das hehre Liebeslied!
BECKMESSER (den Vorhang aufreissend)
Seid Ihr
nun fertig?
WALTHER
Wie fraget Ihr?
BECKMESSER
Mit der Tafel ward ich fertig schier.
(Er hält die ganz mit Kreidestrichen bedeckte Tafel heraus. Die Meister
brechen in ein Gelächter aus.)
WALTHER
Hört doch, zu meiner Frauen Preis
gelang ich jetzt erst mit der Weis'.
BECKMESSER (das Gemerk verlassend)
Singt, wo
Ihr wollt! Hier habt Ihr vertan! -
Ihr Meister, schaut die Tafel euch an:
so lang ich leb, ward's nicht erhört!
Ich glaubt's nicht, wenn ihr's
all auch schwört!
WALTHER
Erlaubt ihr's Meister, dass er mich stört?
Blieb ich von Allen ungehört?
POGNER
Ein Wort, Herr Merker! Ihr seid gereizt!
BECKMESSER
Sei Merker fortan, wer darnach geizt!
Doch dass der Junker hier versungen hat,
beleg ich erst noch vor der
Meister Rat.
Zwar wird's 'ne harte Arbeit sein:
wo beginnen, da wo
nicht aus noch ein?
von falscher Zahl, und falschem Gebänd -
schweig ich schon ganz und gar:
zu kurz, zu lang - wer ein End da fänd?
Wer meint hier im Ernst einen Bar?
Auf "blinde Meinung" klag ich
allein: -
Sagt, konnt ein Sinn unsinniger sein?
MEHRERE MEISTER (untereinander)
Man ward
nicht klug, ich muss gestehn.
Ein Ende konnte keiner ersehn.
BECKMESSER
Und dann die Weis', welch tolles Gekreis
aus "Abenteuer ... .. Blau Rittersporn"-Weis',
"Hoch-Tannen"-,
"Stolz-Jüngling-Ton!"
KOTHNER
Ja, ich verstand gar nichts davon.
BECKMESSER
Kein Absatz wo, kein Koloratur,
von
Melodei auch nicht eine Spur!
ORTEL UND FOLTZ
Wer nennt das Gesang?
MOSER UND NACHTIGALL
Es ward einem bang!
VOGELGESANG
Eitel Ohrgeschinder!
ZORN
Auch gar nichts dahinter!
KOTHNER
Und gar vom Singstuhl ist er gesprungen!
BECKMESSER
Wird erst auf die Fehlerprobe gedrungen?
oder gleich erklärt, dass er versungen?
SACHS (der vom Beginn an Walther mit wachsendem Ernst
zugehört bat)
Halt, Meister! Nicht so geeilt!
Nicht jeder
eure Meinung teilt. -
Des Ritters Lied und Weise,
sie fand ich neu,
doch nicht verwirrt:
verliess er unsre Gleise,
schritt er doch fest
und unbeirrt.
Wollt ihr nach Regeln messen,
was nicht nach eurer
Regeln Lauf,
der eignen Spur vergessen
sucht davon erst die Regeln
auf!
BECKMESSER
Aha, schon recht! Nun hört ihr's
doch:
den Stümpern öffnet Sachs ein Loch,
da aus und ein
nach Belieben
ihr Wesen leicht sie trieben! -
Singet dem Volk auf
Markt und Gassen!
Hier wird nach den Regeln nur eingelassen.
SACHS
Herr Merker, was doch solch ein Eifer?
Was
doch so wenig Ruh?
Eu'r Urteil, dünkt mich, wäre reifer,
hörtet
Ihr besser zu.
Darum so komm ich jetzt zum Schluss,
dass den Junker
man zu End hören muss.
BECKMESSER
Der Meister Zunft, die ganze Schul,
gegen den Sachs da sind wir Null!
SACHS
Verhüt es Gott, was ich begehr,
dass
das nicht nach den Gesetzen wär!
Doch da nun steht geschrieben:
"Der
Merker werde so bestellt,
dass weder Hass noch Lieben
das Urteil trübe,
das er fällt.
Geht er nun gar auf Freiers Füssen,
wie sollt
er da die Lust nicht büssen,
den Nebenbuhler auf dem Stuhl
zu
schmähen vor der ganzen Schul?
(Walther flammt auf.)
NACHTIGALL
Ihr geht zu weit!
KOTHNER
Persönlichkeit!
POGNER
Vermeidet, Meister, Zwist und Streit!
BECKMESSER
Ei! Was kümmert doch Meister Sachsen,
auf was für Füssen ich geh?
Liess er doch lieber Sorge sich
wachsen,
dass mir nichts drück' die Zeh!
Doch seit mein Schuster
ein grosser Poet,
gar übel es um mein Schuhwerk steht:
da seht,
wie's schlappt,
und überall klappt!
All seine Vers und Reim
liess ich ihm gern daheim,
Historien, Spiel und Schwänke dazu,
brächt
er mir morgen die neuen Schuh.
SACHS
Ihr mahnt mich da gar recht:
doch schickt
sich's, Meister, sprecht,
dass - find ich selbst dem Eseltreiber
ein
Sprüchlein auf die Sohl,
dem hochgelahrten Herrn Stadtschreiber
ich nichts drauf schreiben soll?
Das Sprüchlein, das Eu'r würdig
sei,
mit all meiner armen Poeterei,
fand ich noch nicht zur Stund.
Doch wird's wohl jetzt mir kund,
wenn ich des Ritters Lied gehört:
drum sing er nun weiter ungestört!
(Walther steigt in grosser Aufregung auf den Singstuhl)
BECKMESSER
Nicht weiter! Zum Schluss!
DIE MEISTER
Genug! Zum Schluss!
SACHS (zu Walther)
Singt dem Herrn Merker zum
Verdruss!
BECKMESSER
Was sollte man da noch hören?
Wär's
nicht, euch zu betören?
(Er holt aus dem Gemerk die Tafel herbei und hält sie, während
des Folgenden, von Einem zum Andern sich wendend, den Meistern zur Prüfung
vor.)
WALTHER
Aus finstrer Dornenhecken
die Eule
rauscht hervor,
tät rings mit Kreischen wecken
der Raben heis'ren
Chor:
in nächt'gem Heer zu Hauf',
wie krächzen all' da auf,
mit ihren Stimmen, den hohlen,
die Elstern, Krähen und Dohlen! -
Auf da steigt
mit goldnem Flügelpaar
ein Vogel wunderbar;
sein strahlend hell Gefieder
licht in den Lüften blinkt;
schwebt
selig hin und wieder,
zu Flug und Flucht mir winkt.
Es schwillt das
Herz
vor süssem Schmerz,
der Not entwachsen Flügel.
Es
schwingt sich auf
zum kühnen Lauf,
aus der Städte Gruft,
zum Flug durch die Luft,
dahin zum heim'schen Hügel,
dahin zur grünen
Vogelweid,
Wo Meister Walther einst mich freit';
da sing ich heil und
her
der liebsten Frauen Ehr:
auf dann steigt,
ob Meisterkräh'n
ihm ungeneigt,
das stolze Liebeslied!
Ade, ihr Meister hienied!
(Er verlässt mit einer stolz verächtlichen Gebärde den Stuhl
und wendet sich rasch zum Fortgehen.)
BECKMESSER
Jeden Fehler, gross und klein,
seht
genau auf der Tafel ein.
"Falsch Gebänd" - "Unredbare
Worte" -
"Klebsilben" - hier "Laster" gar!
"Aquivoca"
"Reim am falschen Orte",
"verkehrt" "verstellt"
"der ganze Bar!"
Ein "Flickgesang" hier zwischen den
Stollen!
"Blinde Meinung" allüberall!
"Unklare
Wort-, "Differenz", hie,"Schrollen"!
Da "falscher
Atem-, hier "Oberfall"!
Ganz unverständliche Melodei!
Aus allen Tönen ein Mischgebräu!
Scheutet ihr nicht das Ungemach,
Meister, zählt mir die Fehler nach!
Verloren hätt er schon mit
dem Acht,
doch so weit wie der hat's noch Keiner gebracht:
wohl über
Fünfzig, schlecht gezählt!
Sagt, ob ihr euch den zum Meister wählt?
DIE MEISTER
jawohl, so ist's; ich seh es recht:
mit dem Herrn Ritter steht es schlecht!
Mag Sachs von ihm halten, was er
will,
hier in der Singschul schweig er still!
Bleibt einem Jeden doch
unbenommen,
wen er sich zum Genossen begehrt?
Wär uns der erste
Best' willkommen,
was blieben die Meister dann wert?
Hei, wie sich der
Ritter da quält!
Der Sachs hat sich ihn erwählt! -
Hahaha!
's ist ärgerlich gar! Drum macht ein End!
Auf, Meister! Stimmt und
erhebt die Händ!
SACHS
Ha! welch ein Mut!
Begeistrungsglut! -
Ihr Meister, schweigt doch und hört!
Hört, wenn Sachs euch beschwört!
Herr Merker dort, gönnt doch nur Ruh!
Lasst andre hören, - gebt
das nur zu!
Umsonst! All eitel Trachten!
Kaum vernimmt man sein eignes
Wort;
des Junkers will keiner achten:
das nenn ich Mut, singt der noch
fort!
Das Herz auf dem rechten Fleck:
ein wahrer Dichter-Reck!
Mach ich Hans Sachs wohl Vers und Schuh,
ist Ritter der und Poet dazu!
POGNER (für sich)
jawohl, ich seh's, was
mir nicht recht:
mit meinem Junker steht es schlecht!
Weich ich hier
der Übermacht,
mir ahnet, dass mir's Sorge macht.
Wie gern säh
ich ihn angenommen!
Als Eidam wär er mir gar wert:
nenn ich den
Sieger jetzt willkommen, -
wer weiss, ob ihn mein Kind erwählt?
Gesteh ich's, dass mich's quält,
ob Eva den Meister wählt!
DIE LEHRBUBEN (die von der Bank aufgestanden sind,
lassen sich am Ende an und tanzen im Ringe immer lustiger um das Gemerk.)
Glückauf zum Meistersingen!
Mögt Ihr Euch das Kränzlein
erschwingen;
das Blumenkränzlein aus Seiden fein,
wird das dem
Herrn Ritter beschieden sein?
BECKMESSER
Nun, Meister, kündet's an!
(Die meisten heben die Hände.)
DIE MEISTER
Versungen und vertan!
(Alles geht in grosser Aufregung auseinander; lustiger Tumult der Lehrbuben,
welche sich des Gemerkes, des Singstuhls und der Meisterbänke bemächtigen,
wodurch Gedräng und Durcheinander der nach dem Ausgang sich wendenden
Meister entsteht. - Sachs, der allein im Vordergrund geblieben, blickt noch
gedankenvoll nach dem leeren Singstuhl; als die Lehrbuben auch diesen erlassen
und Sachs darob mit humoristisch unmutiger Gebärde sich abwendet, fällt
der Vorhang.)
Originally input by Mike Richter, <mrichter@mindspring.com> with thanks to George J. Lindner for proofing.