Last updated: Feb. 13, 1997
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Das Lied von der Erde

Musik von Gustav Mahler

Nachdichtungen von Hans Bethge aus dem Chinesischen

1. Das Trinklied vom Jammer der Erde
   (nach Li-Tai-Po)
   Shon winkt der Wein im gold'nen Pokale,
   Doch trinkt noch nicht, erst sing' ich euch ein Lied!
   Das Lied vom Kummer
   Soll auflachend in die Seele euch klingen.
   Wenn der Kummer naht,
   Liegen wuest die Gaerten der Seele,
   Welkt hin und stirbt die Freude, der Gesang.
   Dunkel ist das Leben, ist der Tod.

   Herr dieses Hauses!
   Dein Keller birgt die Fuelle des goldenen Weins!
   Hier, diese Laute nenn' ich mein!
   Die Laute schlagen und die Glaeser leeren,
   Das sind die Dinge, die zusammenpassen.
   Ein voller Becher Weins zur rechten Zeit
   Ist mehr wert, als alle Reiche dieser Erde!
   Dunkel is das Leben, ist der Tod.

   Das Firmament blaut ewig und die Erde
   Wird lange feststeh'n und aufblueh'n im Lenz.
   Du aber, Mensch, wie lang lebst denn du?
   Nicht hundert Jahre darfst du dich ergoetzen
   An all dem morschen Tande dieser Erde!

   Seht dort hinab!  Im Mondschein auf den Graebern
   Hockt eine wild-gespenstische Gestalt -
   Ein Aff' ist's!  Hoert ihr, wie sein Heulen
   Hinausgellt in den suessen Duft des Lebens!

   Jetzt nehmt den Wein!  Jetzt ist es Zeit, Genossen!
   Leert eure gold'nen Becher zu Grund!
   Dunkel ist das Leben, ist der Tod!

2. Der Einsame im Herbst
   (nach Tchang-Tsi)
   Herbstnebel wallen blaeulich uebern See;
   Vom Reif bezogen stehen alle Graeser;
   Man meint, ein Kuenstler habe Staub vom Jade
   Ueber die feinen Blueten ausgestreut.

   Der suesse Duft der Blumen is verflogen;
   Ein kalter Wind beugt ihre Stengel nieder.
   Bald werden die verwelkten, gold'nen Blaetter
   Der Lotosblueten auf dem Wasser zieh'n.

   Mein Herz is muede.  Meine kleine Lampe
   Erlosch mit Knistern, es gemahnt mich an den Schlaf.
   Ich komm' zu dir, traute Ruhestaette!
   Ja, gib mir Ruh', ich hab' Erquickung not!

   Ich weine viel in meinen Einsamkeiten,
   der Herbst in meinem Herzen waehrt zu lange.
   Sonne der Liebe, willst du nie mehr scheinen,
   Um meine bitter'n Traenen mild aufzutrocknen?

3. Von der Jugend
   (nach Li-Tai-Po)
   Mitten in dem kleinen Teiche
   Steht ein Pavillon aus gruenem
   Und aus weissem Porzellan.

   Wie der Ruecken eines Tigers
   Woelbt die Bruecke sich aus Jade
   Zu dem Pavillon hinueber.

   In dem Haeuschen sitzen Freunde,
   Schoen gekleidet, trinken, plaudern,
   Manche schreiben Verse nieder.

   Ihre seid'nen Aermel gleiten
   Rueckwaerts, ihre seid'nen Muetzen
   Hocken lustig tief im Nacken.

   Auf des kleinen Teiches stiller
   Wasserflaeche zeigt sich alles
   Wunderlich im Spiegelbilde.

   Alles auf dem Kopfe stehend
   In dem Pavillon aus gruenem
   Und aus weissem Porzellan;

   Wie ein Halbmond steht die Bruecke,
   Umgekehrt der Bogen.  Freunde,
   Schoen gekleidet, trinken, plaudern.

4. Von der Schoenheit
   (nach Li-Tai-Po)
   Junge Maedchen pfluecken Blumen,
   Pfluecken Lotosblumen an dem Uferrande.
   Zwischen Bueschen und Blaettern sitzen sie,
   Sammeln Blueten in den Schoss und rufen
   Sich einander Neckereien zu.

   Gold'ne Sonne webt um die Gestalten,
   Spiegelt sie im blanken Wasser wider.
   Sonne spiegelt ihre schlanken Glieder,
   Ihre suessen Augen wider,
   Und der Zephyr hebt mit Schmeichelkosen
   Das Gewebe ihrer Aermel auf,
   Fuhrt den Zauber
   Ihrer Wohlgerueche durch die Luft.

   O sieh, was tummeln sich fuer schoene Knaben
   Dort an dem Uferrand auf mut'gen Rossen,
   Weithin glaenzend wie die Sonnenstrahlen;
   Schon zwischen dem Geaest der gruenen Weiden
   Trabt das jungfrische Volk einher!

   Das Ross des einen wiehert froehlich auf
   Und scheut und saust dahin,
   Ueber Blumen, Graeser wanken hin die Hufe,
   Sie zerstampfen jaeh im Sturm
   Die hingesunk'nen Blueten.
   Hei!  Wie flattern im Taumel seine Maehnen,
   Dampfen heiss die Nuestern!

   Gold'ne Sonne webt um die Gestalten,
   Spiegelt sie im blanken Wasser wider.
   Und die schoenste von den Jungfrau'n sendet
   Lange Blicke ihm der Sehnsucht nach.
   Ihre stolze Haltung is nur Verstellung.
   In dem Funkeln ihrer grossen Augen,
   In dem Dunkel ihres heissen Blicks
   Schwingt klagend noch die Erregung
   Ihres Herzens nach.

5. Der Trunkene im Fruehling
   (nach Li-Tai-Po)
   Wenn nur ein Traum das Leben ist,
   Warum denn Muh' und Plag!?
   Ich trinke, bis ich nicht mehr kann,
   Den ganzen, lieben Tag!

   Und wenn ich nicht mehr trinken kann,
   Weil Kehl' und Seele voll,
   So tauml' ich bis zu meiner Tuer
   Und schlafe wundervoll!

   Was hoer' ich beim Erwachen?  Horch!
   Ein Vogel singt im Baum.
   Ich frag' ihn, ob schon Fruehling sei,
   Mir ist als wie im Traum.

   Der Vogel zwitschert:  Ja!
   Der Lenz ist da, sei 'kommen ueber Nacht!
   Aus tiefstem Schauen lauscht' ich auf,
   Der Vogel singt und lacht!

   Ich fuelle mir den Becher neu
   Und leer' ihn bis zum Grund
   Und singe, bis der Mond erglaenzt
   Am schwarzen Firmament!

   Und wenn ich nicht mehr singen kann,
   So schlaf' ich wieder ein,
   Was geht mich denn der Fruehling an!?
   Lasst mich betrunken sein!

6. Der Abschied
   (nach Mong-Kao-Yen & Wang-Wei)
   Die Sonne scheidet hinter dem Gebirge.
   In alle Taeler steigt der Abend nieder
   Mit seinen Schatten, die voll Kuehlung sind.
   O sieh!  Wie eine Silberbarke schwebt
   Der Mond am blauen Himmelssee herauf.
   Ich spuere eines feinen Windes Weh'n
   Hinter den dunklen Fichten!

   Der Bach singt voller Wohllaut
   durch das Dunkel.
   Die Blumen blassen im Daemmerschein.
   Die Erde atmet voll von Ruh' und Schlaf,
   Alle Sehnsucht will nun traeumen.
   Die mueden Menschen geh'n heimwaerts,
   Um im Schlaf vergess'nes Glueck
   Und Jugend neu zu lernen!
   Die Voegel hocken still in ihren Zweigen.
   Die Welt schlaft ein!

   Es wehet kuehl im Schatten meiner Fichten.
   Ich stehe hier und harre meines Freundes;
   Ich harre sein zum letzten Lebewohl.
   Ich sehne mich, o Freund, an deiner Seite
   Die Schoenheit dieses Abends zu geniessen.
   Wo bleibst du?  Du laesst mich lang allein!
   Ich wandle auf und nieder mit meiner Laute
   Auf Wegen, die vom weichen Grase schwellen.
   O Schoenheit!
   O ewigen Liebens - Lebens - Trunk'ne welt!

   Er stieg vom Pferd und reichte ihm
   Den Trunk des Abschieds dar.
   Er fragte ihn, wohin er fuehre
   Und auch warum es muesste sein.
   Er sprach, seine Stimme war umflort:
   Du, mein Freund,
   Mir war auf dieser Welt das Glueck nicht hold!
   Wohin ich geh'?
   Ich geh', ich wand're in die Berge.
   Ich suche Ruhe fuer mein einsam Herz.
   Ich wandle nach der Heimat, meiner Staette.
   Ich werde niemals in die Ferne schweifen.
   Still ist mein Herz und harret seiner Stunde!
   Die liebe Erde allueberall
   Blueht auf im Lenz und gruent aufs neu!
   Allueberall und ewig blauen licht die Fernen!
   Ewig... ewig...