Tannhäuser

Entwürfe zur Pariser Venusberg-Szene (Pantomime)

Die Bühne stellt das Innere des Venusberges dar. Weite Grotte, welche sich im Hintergrunde, durch eine Biegung nach rechts, wie unabsehbar ausdehnt. Im fernen Hintergrunde zieht sich ein blauer See dahin: in ihm erblickt man die badenden Gestalten von Najaden; an seinen erhöhten Ufervorsprüngen sind Sirenen gelagert. Rechts, in die Bühne vorspringend (etwa in halber Tiefe) ein Wasserfall, in einen inneren Abgrund sich stürzend, an dessen Rande die Wellen aufschäumen. Vor ihm sind Nymphen in anmutigen Gruppen gelagert. Zu beiden Seiten der Grotte Vorsprünge von unregelmäßiger Form mit wunderbaren tropischen Gewächsen bewachsen, Jünglinge, wie in anmutiger Ermattung ruhend, liegen dort ausgestreckt. Im Vordergrunde links Venus auf einem Lager; vor ihr halbkniend Tannhäuser, das Haupt in ihrem Schoße, die Harfe zur Seite. Vor beiden, etwas tiefer, sind in reizender Verschlingung die drei Grazien gelagert. Zu seiten und hinter dem Lager zahlreiche schlafende Amoretten wild über- und nebeneinander gelagert, einen verworrenen Knäuel bildend, wie Kinder, die über einer Balgerei ermattet eingeschlafen sind. Der ganze Vordergrund der Szene ist von zauberhaftem rosigen Lichte erleuchtet, durch welches das Smaragdgrün des Wasserfalls, mit dem Weiß seiner schäumenden Wellen, stark durchbricht. Der Hintergrund mit den Seeufern ist von einem verklärt blauen Dufte mondscheinartig erhellt.

1. Eine der Nymphen (am Wasserfall) fordert die übrigen auf, sich zum Tanze zu erheben; nach und nach folgen alle ihrem Beispiele. Ihr Tanz hat die Bedeutung, die auf den Vorsprüngen gelagerten Jünglinge anzulocken; jede nähert sich bald mehr, bald weniger ihrem Geliebten, um ihn zur Teilnahme am Tanze zu reizen: wenn sie ihnen ganz nahe kommen, suchen die Jünglinge sie zu erfassen; die Nymphen weichen ihnen aus und suchen sie durch dieses neckende Spiel nach dem Tanzgrunde herab nachzuziehen. Als sie sämtlich aus der Nähe der Jünglinge sich gleichzeitig mit lustiger Hast nach dem Grunde zurückziehen, finden sie sich plötzlich von bockbeinigen Faunen und Satyren umarmt, welche unversehens aus tieferen Klüften aufgestiegen sind. Sie prallen mit lachendem Schrecken zurück und suchen sich ihnen zu entwinden. Eine der Nymphen, ihrem trägen Geliebten schmollend, zeigt sich aber plötzlich dem sie jagenden Satyr gewogen, um durch Eifersucht ihren Freund zu necken. Ihrem Beispiel folgen die übrigen der Jünglinge, erheben sich nun, kommen nach dem Grunde herab und suchen die Nymphen ihren Nebenbuhlern zu entreißen. Fortgesetztes Necken der Nymphen; wachsender Tumult, ungestüme Jagd auf die Nymphen; immer heftigeres Verlangen; begehrliches Getümmel der Faunen.

2. Die drei Grazien erheben sich: Aglaia zuerst mit einem Blick auf Venus; ihr folgen die beiden Schwestern. Sie schwingen sich leicht inmitte des Getümmels, zur Wahrung der Anmut und der gefühlvollen Schicklichkeit auffordernd. Es gelingt ihnen bald, die Jünglinge um sich zu versammeln und traulich an sich anzuziehen. Die Faunen suchen lüstern durch die Gruppe der Jünglinge bis zu den Grazien durchzubrechen: einzelne, vor ihnen anlangend, schrecken sie verdrießlich vor dem Ernst ihrer Mienen zurück und suchen sich wieder auf die Nymphen zu stürzen; diese verhöhnen und necken sie, den Jünglingen sich zuwendend: auf Aglaias Befehl ziehen die Faunen ergrimmt und rachedrohend sich zurück und verschwinden im Hintergrund nach rechts.
Aglaia belehrt nun durch ihren anmutigen Tanz die Nymphen, durch welche Weisen sie sich ihres Reizes für die Geliebten zu versichern haben: ihrem Tanze schließen sich die beiden Schwestern in den mannigfaltigsten, edelsten Verschlingungen an.
Die große Macht dieser Lehre zeigt sich alsbald. Die Nymphen suchen sie nachzuahmen; ihrem Tanze schließen sich die Jünglinge an. Unter dem Vortanz der Grazien nimmt der allgemeine Tanz einen immer ruhiger anmutigen Charakter an, in welchem das Liebessehnen sich nur zart und weich ausspricht. Als die Grazien alle Paare um sich im Halbkreis zu einer anmutigen Stellung vereinigt haben, bricht von der Höhe des Wasserfalls ausgehend ein immer hellerer Regenbogen aus, auf welchem Iris über die Gruppe hinweg sich bis in Venus' Nähe herabläßt, von dieser einen Wink der Zufriedenheit erhält, welchen sie, bis zur Mitte zurückschwebend, der zu ihr aufblickenden Aglaia überbringt: dankend verneigt sich diese gegen Venus und zaubert durch einen Handwink folgenden Anblick hervor: Der Regenbogen erblaßt schnell und Iris verschwindet; statt dieser erscheint in der Höhe Diana (als Luna) im Gewölk, welches von Dianas Mondsichelwagen bald immer mehr erleuchtet wird: anmutige Mondnacht; Diana entsteigt ihrem Wagen und schwebt tiefer herab auf eine niedere Anhöhe, auf welcher ein schöner Jüngling (Endymion) schlummernd ausgestreckt liegt. Während Diana ihn mit dem Ausdruck des schwärmerischen Wohlgefallens betrachtet, läßt sich aus dem fernsten Hintergrunde der Gesang der Sirenen vernehmen: Naht euch dem Lande usw.
Diana neigt sich tiefer und drückt einen Kuß auf Endymions Lippen. Vollendetster Moment der Anmut im Ausdruck der Gruppen der Liebespaare. Aglaia und ihre beiden Schwestern haben sich wieder vor Venus' Lager niedergelassen, mit Befriedigung ihr Werk betrachtend.

3. Plötzlich hört man wildes Geräusch aus dem Hintergrunde nahen. Das Bild Dianas und Endymions verschwindet schnell. Die Liebespaare fahren auf: die ganze Szene nimmt wieder den ersten Charakter an; nur der Wasserfall verdunkelt allmählich und scheint immer wilder zu strömen. Aus der Biegung des Hintergrundes dringt nun folgender wilder Zug in die Szene. Die Faunen voran, den Nachfolgenden zuwinkend und sie antreibend; dann das wilde Heer der Bacchantinnen und Mänaden; Silen und die Satyren. Sie durchziehen in unregelmäßigem, wilden Tumulte die Szene, die Liebespaare flüchten sich auf die Felsvorsprünge. Eine Schar von Mänaden zerrt einen schwarzen Bock bei den Hörnern herbei: Jauchzen begrüßt ihn von allen Seiten. Man schleppt ihn an den Rand des Wasserfalls und bereitet ihn unter trunkenen Gebärden zum Opfer. Mit einem Stahl gestochen, wird er schnell in den Wasserfall geworfen, welcher sofort eine blutrote Farbe annimmt, während der übrige Vordergrund von einer gelblichen Beleuchtung erhellt wird. In dem endlich glühend rot leuchtenden Wasserfall erscheint auf einem in der Mitte des Falles hervorragenden Felsstein der Strömkarl (nordischer Wassergeist), ältlich an Gestalt und von mild jovialem Ansehen, mit einem unförmlichen Saiteninstrument, ähnlich einer Geige. Alles grüßt ihn jubelnd und reiht sich zum Tanze. Der Strömkarl fährt nun mit dem Bogen über die Fidel und beginnt aufzuspielen. Erst einzelne, dann immer mehr, endlich alle im wilden Zuge Gekommenen erfassen sich und reißen sich zu einem immer ausgelasseneren Tanze fort; die Weise des Strörnkarl verlockt selbst die Liebespaare: die Nymphen kommen zuerst herab und stürzen sich in den Tanz; ihnen folgen die Jünglinge. Die Paare mischen sich nach den buntesten Kontrasten, wild, ohne Unterschied. Aus dem Hintergrunde kommen endlich alle mythologischen Tiere hereingejagt: große Katzen, Tiger, Panther, beritten und unberitten, nehmen am Tanze teil; Greife, halb Löwen, halb Adler: riesige Vögel mit menschlichen Leibern, andere Vögel mit menschlichem Oberleibe - Sphinxe. Die Grazien die dem immer wachsenden Taumel mit Furcht zugesehen, erheben sich und werfen sich verzweiflungsvoll in das Getümmel; da entspringt dem Hintergrunde eine Schar Kentauren und bricht sich taumelnd Bahn.
Venus erhebt sich daselbst und weckt mit einem Wink die schlummernden Amoretten. Sogleich flattern diese auf, verteilen sich fliegend über die Breite der Szene und schießen einen unaufhörlichen Hagel von Pfeilen auf die Tanzenden ab. Wütendes Liebessehnen bemächtigt sich plötzlich der Getroffenen; im wilden Durcheinander gepaart, beginnen die Haufen sich zu flüchten. Selbst die Grazien sind getroffen: wehrlos geworden, werden sie von den Kentauren bewältigt, von denen jeder eine der Grazien sich auf den Rücken schwingt und so mit ihr davonjagt. Die Flucht wird immer allgemeiner. Die Jünglinge mit Bacchantinnen, die Nymphen mit Faunen und so die übrigen ähnlich gepaart eilen davon; andere Paare sinken ermattet auf den Vorsprüngen nieder. Die Amoretten verfolgen die Fliehenden, in der ganzen Breite der Bühne dem Hintergrunde zuschwebend. Zugleich sinkt rosiger Duft herab, welcher, anfangs feiner und durchsichtiger, allmählich sich immer mehr verdichtet, in der Weise, daß endlich die ganze Bühne in ihm verhüllt wird und nur der nächste Vordergrund mit Venus und Tannhäuser von milderem rosigen Lichte erleuchtet sichtbar bleibt. Zu gleicher Zeit hat sich der hörbare Ungestüm immer mehr verzogen: eine berauschende träumerische Ruhe hat sich ausgebreitet. Wie aus weiter Ferne hört man den Gesang der Sirenen, als durch den dichteren Duft ein sanfter bläulicher Schein aufdämmert, in welchem das entfernte Bild der Entführung Europas sich zeigt. Auf dem Meere, umgeben von Delphinen und Nereiden, schwimmt ein weißer mit Blumen geschmückter Stier, auf welchem Europa mit der einen Hand am Horn sich festhaltend sitzt. Der Duft schließt sich wieder; bald aber teilt er sich wieder nach einer anderen Seite zu und zeigt das Bild Ledas am Ufer eines Teiches ruhend: der Schwan schwimmt auf sie zu, schwingt seinen Hals nach ihr, den Leda liebkosend an sich biegt. Als auch dieses Bild wieder zerrinnt, bleibt die Bühne einige Zeit ohne alle Bewegung. Endlich zuckt Tannhäuser aus seiner nicht verlassenen anfänglichen Stellung mit dem Haupte auf.


transcribed by Mike Richter and Rick Bogart


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Monday, 08-Dec-2003 21:40:32 PST