DRAMATIS PERSONÆ: Klytämnestra Elektra } Töchter Chrysothemis } Aegisth Orest Der Pfleger des Orest Die Vertraute Die Schleppträgerin Ein junger Diener Ein alter Diener Der Koch Die Aufseherin Die Dienerinnen ******** ******** ******** ******** Der innere Hof, begrenzt von der Rückseite des Palastes und niedrigen Gebäuden, in denen die Diener wohnen. Dienerinnen am Ziehbrunnen, links vorne. Aufseherinnen unter ihnen. I. Magd ihr Wassergefäss aufhebend: Wo bleibt Elektra? II. Magd Ist doch ihre Stunde, die Stunde, wo sie um den Vater heult, dass alle Wände schallen. Elektra kommt aus der schon dunkelnden Hausflur gelaufen. Alle drehen sich nach ihr um. Elektra springt zurück wie ein Tier in seinen Schlupfwinkel, den einen Arm vor dem Gesicht. I. Magd Habt ihr gesehn, wie sie uns ansah? II. Magd Giftig wie eine wilde Katze. III. Magd Neulich lag sie da und stöhnte -- I. Magd Immer, wenn die Sonne tief steht, liegt sie und stöhnt. III. Magd Da gingen wir zuzweit und kamen ihr zu nah -- I. Magd sie hält's nicht aus, wenn man sie ansieht. III. Magd Ja, wir kamen ihr zu nah. Da pfauchte sie wie eine katze uns an. "Fort, Fliegen!", schrie sie, "fort!" IV. Magd "Schmeissfliegen, fort!" III. Magd "Sitzt nicht auf meinen Wunden!" und schlug nach uns mit einem Strohwisch. IV. Magd "Fort, Schmeissfliegen, fort!" III. Magd "Ihr sollt das Süsse nicht abweiden von der Qual. Ihr sollt nicht schmatzen nach meiner Krämpfe Schaum." IV. Magd "Geht ab, verkriecht euch," schrie sie uns nach. "Esst Fettes, und esst Süsses und kriecht zu Bett mit euren Männern" schrie sie, und die -- III. Magd ich war nicht faul -- IV. Magd die gab ihr Antwort! III. Magd Ja: "wenn du hungrig bist," gab ich zur Antwort, "so isst du auch," da sprang sie auf und schoss grässliche Blicke, reckte ihre Finger wie Krallen gegen uns und schrie: "Ich füttre," schrie sie," mir einen Geier auf im Leib." II. Magd Und du? III. Magd "Drum hockst du immerfort," gab ich zurück, "wo Aasgeruch dich hält und scharrst nach einer alten Leiche!" II. Magd Und was sagte sie da? III. Magd Sie heulte nur und warf sich in ihren Winkel. Sie sind mit dem Schöpfen fertig I. Magd Dass die Königin solch einen Dämon frei in Haus und Hof sein Wesen treiben lässt. II. Magd Das eigne Kind! I. Magd Wär' sie mein Kind, ich hielte, ich -- bei Gott! -- sie unter Schloss und Riegel. IV. Magd Sind sie dir nicht hart genug mit ihr? Setzt man ihr nicht den Napf mit Essen zu den Hunden? Leise Hast du den Herrn sie nie schlagen sehn? V. Magd eine ganz junge, mit zitternder erregter Stimme: Ich will vor ihr mich niederwerfen und die Füsse ihr küssen. Ist sie nicht ein Königskind und leidet solche Schmach! Ich will die Füsse ihr salben und mit meinem Haar sie trocknen. Die Aufseherin Hinein mit dir! Stösst sie V. Magd Es gibt nichts auf der Welt, das königlicher ist als sie. Sie liegt in Lumpen auf der Schwelle, aber niemand, schreiend niemand ist hier im Haus, der ihren Blick aushält! Die Aufseherin Hinein! Stösst sie in die offene niedrige Tür links vorne V. Magd in die Tür geklemmt Ihr alle seid nicht wert, die Luft zu atmen, die sie atmet! O, könnt' ich euch alle, euch, erhängt am Halse, in einer Scheuer Dunkel hängen sehen um dessen willen, was ihr an Elektra getan habt! Die Aufseherin schlägt die Tür zu, stellt sich dann mit dem Rücken dagegen Hört ihr das? wir, an Elektra! die ihren Napf von unserm Tische stiess, als man mit uns sie essen hiess, die ausspie vor uns und Hündinnen uns nannte. I. Magd Was? Sie sagte: keinen Hund kann man erniedern, wozu man uns hat abgerichtet: dass wir mit Wasser und mit immer frischem Wasser das ewige Blut des Mordes von der Diele abspülen -- III. Magd und die Schmach, so sagte sie, die Schmach, die sich bei Tag und Nacht erneut, in Winkel fegen... I. Magd unser Leib, so schreit sie, starrt von dem Unrat, dem wir dienstbar sind! Sie tragen ihre Gefässe ins Haus links Die Aufseherin die ihnen die Tür aufgemacht hat Und wenn sie uns mit unsern Kindern sieht, so schreit sie: nichts kann so verflucht sein, nichts, als Kinder, die wir hündisch auf der Treppe im Blute glitschend, hier in diesem Hause empfangen und geboren haben. Sagt sie das oder nicht? Die Dienerinnen schon von drinnen Ja! ja! Die Eine von drinnen Sie schlagen mich! Die Aufseherin geht hinein. Die Tür fällt zu Aus dem Hause tritt Elektra. Sie ist allein mit den Flecken roten Lichtes, die aus den Zweigen des Feigenbaumes schräg über den Boden und auf die Mauern fallen, wie Blutflecke. Elektra Allein! Weh, ganz allein. Der Vater fort, hinabgescheucht in seine kalten Klüfte. gegen den Boden Wo bist du, Vater? Hast du nicht die Kraft, dein Angesicht herauf zu mir zu schleppen? Es ist die Stunde, unsre Stunde ist's! Die Stunde, wo sie dich geschlachtet haben, dein Weib und der mit ihr in einem Bette, in deinem königlichen Bette schläft. Sie schlugen dich im Bade tot, dein Blut rann über deine Augen, und das Bad dampfte von deinem Blut, dann nahm er dich, der Feige, bei den Schultern, zerrte dich hinaus aus dem Gemach, den Kopf voraus, die Beine schleifend hinterher: dein Auge, das starre, offne, sah herein ins Haus. So kommst du wieder, setzest Fuss vor Fuss und stehst auf einmal da, die beiden Augen weit offen, und ein königlicher Reif von Purpur ist um deine Stirn, der speist sich aus des Hauptes offner Wunde. Vater! Ich will dich sehn, lass mich heut nicht allein! Nur so wie gestern, wie ein Schatten, dort im Mauerwinkel zeig dich deinem Kind! Vater! dein Tag wird kommen! Von den Sternen stürzt alle Zeit herab, so wird das Blut aus hundert Kehlen stürzen auf dein Grab! So wie aus umgeworfnen Krügen wird's aus den gebunden Mördern fliessen, rings wie Marmorkrüge werden nackte Leiber von allen ihren Helfern sein, von Männern und Frauen, und in einem Schwall, in einem geschwollnen Bach wird ihres Lebens Leben aus ihnen stürzen -- und wir schlachten dir die Rosse, die im Hause sind, wir treiben sie vor dem Grab zusammen, und sie ahnen den Tod und wiehern in die Todesluft und sterben, und wir schlachten dir die Hunde, weil sie der Wurf sind und der Wurf des Wurfes von denen, die mit dir gejagt, von denen, die dir die Füsse leckten, denen du die Bissen hinwarfst, darum müss ihr Blut hinab, um dir zu Dienst zu sein, und wir, dein Blut, dein Sohn Orest und deine Töchter, wir drei, wenn alles dies vollbracht und Purpur- gezelte aufgerichtet sind, vom Dunst des Blutes, den die Sonne an sich zieht, dann tanzen wir, dein Blut, rings um dein Grab: und über Leichen hin werd' ich das Knie hochheben Schritt für Schritt, und die mich werden so tanzen sehn, ja, die meinen Schatten von weitem nur so werden tanzen sehn, die werden sagen: einem grossen König wird hier ein grosses Prunkfest angestellt von seinem Fleisch und Blut, und glücklich ist, wer Kinder hat, die um sein hohes Grab so königliche Siegestänze tanzen! Chrysothemis die jüngere Schwester, steht in der Haustür. Sie sieht angstvoll auf Elektra, ruft leise: Elektra! Elektra fährt zusammen, wie der Nachtwandler, der seinen Namen rufen hört. Sie taumelt. Ihre Augen sehen um sich, als fänden sie sich nicht gleich zurecht. Ihr Gesicht verzerrt sich, wie sie die ängstliche Miene der Schwester ansieht. Chrysothemis steht an die Türe gedrückt Elektra Ah, das Gesicht! Chrysothemis Ist mein Gesicht dir so verhasst? Elektra Was willst du? Rede, sprich, ergiesse dich, dann geh und lass mich! Chrysothemis hebt wie abwehrend die Hände. Elektra Was hebst du die Hände? So hob der Vater seine beiden Hände, da fuhr das Beil hinab und spaltete sein Fleisch. Was willst du, Tochter meiner Mutter? Chrysothemis Sie haben etwas Fürchterlichtes vor. Elektra Die beiden Weiber? Chrysothemis Wer? Elektra Nun, meine Mutter und jenes andre Weib, die Memme, ei, Aegisth, der tapfre Meuchelmörder, er, der Heldentaten nur im Bett vollführt. Was haben sie denn vor? Chrysothemis Sie werfen dich in einen Turm, wo du von Sonn' und Mond das Licht nicht sehen wirst. Elektra lacht. Chrysothemis Sie tun's, ich weiss es, ich hab's gehört. Elektra Mir ist, ich hätt's gehört. War's nicht bei Tisch, so bei der letzten Schüssel? Da hebt er gern die Stimm' und prahlt, ich wette, es nützt seiner Verdauung. Chrysothemis Nicht bei Tisch. Nicht um zu prahlen. Er und sie allein bereden sie's. Elektra Allein? Wie hast dann du es hören können? Chrysothemis An der Tür, Elektra. Elektra Mach keine Türen auf in diesem Haus! Gepresster Atem, pfui! und Röcheln von Erwürgten, nichts andres gibt's in diesen Kammern. Lass die Tür, dahinter du ein Stöhnen hörst: sie bringen ja nicht immer einen um, zuweilen sind sie auch allein zusammen! Mach keine Türen auf! Schleich nicht herum. Sitz an der Erd' wie ich und wünsch den Tod und das Gericht herbei auf sie und ihn. Chrysothemis Ich kann nicht sitzen und ins Dunkel starren wie du. Ich hab's wie Feuer in der Brust, es treibt mich immerfort herum im Haus, in keiner Kammer leidet's mich, ich muss von einer Schwelle auf die andre, ach! treppauf, treppab, mir ist, als rief' es mich, und komm ich hin, so stiert ein leeres Zimmer mich an. Ich habe soche Angst, mir zittern die Knie bei Tag und Nacht, mir ist die Kehle wie zugeschnürt, ich kann nicht einmal weinen, wie Stein ist Alles! Schwester, hab Erbarmen! Elektra Mit wem? Chrysothemis Du bist es, die mit Eisenklammern mich an den Boden schmiedet. Wärst nicht du, sie liessen uns hinaus. Wär nicht dein Hass, dein schlafloses, unbändiges Gemüt, vor dem sie zittern, ah, so liessen sie uns ja heraus aus diesem Kerker, Schwester! Ich will heraus! Ich will nicht jede Nacht bis an den Tod hier schlafen! Eh ich sterbe, will ich auch leben! Kinder will ich haben, bevor mein Leib verwelkt, und wärs ein Bauer, dem sie mich geben, Kinder will ich ihm gebären und mit meinem Leib sie wärmen in kalten Nächten, wenn der Sturm die Hütte zusammenschüttelt! Aber dies ertrag' ich nicht länger, hier zu lungern bei den Knechten und doch nicht ihresgleichen, eingesperrt mit meiner Todesangst bei Tag und Nacht! Hörst du mich an? Sprich zu mir, Schwester! Elektra Armes Geschöpf! Chrysothemis Hab Mitleid mit der selber und mit mir! Wem frommt denn diese Qual? Dem Vater etwa? Der Vater, der ist tot. Der Bruder kommt nicht heim. Du siehst ja doch, dass er nicht kommt. Mit Messern gräbt Tag um Tag in dein und mein Gesicht sein Mal und draussen geht die Sonne auf und ab, und Frauen, die ich schlank gekannt hab', sind schwer von Segen, mühen sich zum Brunnen und heben kaum den Eimer, und auf einmal sind sie entbunden ihrer Last und kommen zum Brunnen wieder und aus ihnen selber rinnt süsser Trank und säugend hängt ein Leben an ihnen, und die Kinder werden gross -- und immer sitzen wir hier auf der Stange wie angehängte Vögel, wenden links und rechts den Kopf und niemand kommt, kein Bruder, kein Bote von dem Bruder, nicht der Bote von einem Boten, nichts! Viel lieber tot, als leben und nicht leben. Nein, ich bin ein Weib und will ein Weiberschicksal. Elektra Pfui, die's denkt, pfui, die's mit Namen nennt! Die Höhle zu sein, drin nach dem Mord dem Mörder wohl ist; das Tier zu spielen, das dem schlimmern Tier Ergetzung bietet. Ah, mit einem schläft sie, presst ihre Brüste ihm auf beide Augen und winkt dem zweiten, der mit Netz und Beil hervorkriecht hinter'm Bett. Chrysothemis Du bist entsetzlich! Elektra Warum entsetzlich? Bist du solch ein Weib? Du willst's erst werden. Chrysothemis Kannst du nicht vergessen? Mein Kopf ist immer wüst. Ich kann von heut auf morgen nichts behalten. Manchmal lieg' ich so da, dann bin ich was ich früher war, und kann's nicht fassen, dass ich nicht mehr jung bin. Wo ist denn alles hingekommen, wo denn? Es ist ja nicht ein Wasser, das vorbeirinnt, es ist ja nicht ein Garn, das von der Spule herunter fliegt und fliegt, ich bin's ja, ich! Ich möchte beten, dass ein Gott ein Licht mir in der Brust antstecke, dass ich mich in mir kann wiederfinden! Wär ich fort, wie schnell vergäss' ich alle bösen Träume -- Elektra Vergessen? Was! bin ich ein Tier? vergessen? Das Vieh schläft ein, von halbgefressner Beute die Lefze noch behängt, das Vieh vergisst sich und fängt zu käuen an, indes der Tod schon würgend auf ihm sitzt, das Vieh vergisst, was aus dem Leib ihm kroch, und stillt den Hunger am eignen Kind -- ich bin kein Vieh, ich kann nicht vergessen! Chrysothemis O, muss meine Seele immer von dieser Speise essen, die ihr widert, die ihr so widert! die zu reichen nur sie schaudert, die sie nie und nimmer hätte anrühren sollen, nie und nimmer wissen, dass es so etwas Grauenvolles gibt, nie wissen! nie mit Augen seh'n! nie hören! Das Fürchterliche ist nicht für das Herz des Menschen! Wenn es kommt, wenn es sich anzeigt, so muss man flüchten aus dem Häusern, flüchten in die Weingärten, flüchte auf die Berge! und steigt es auf die Berge, muss man wieder herab und sich verkriechen in den Häusern: nie darf man bei ihm bleiben, nie mit ihm in einem Hause sein! Ich will hinaus! Ich will empfangen und gebären Kinder, die nichts von diesem wissen, meinen Leib wasch' ich in jedem Wasser, alles wasch' ich mir ab, das Hohle meiner beiden Augen wasch' ich mir rein -- sie sollen sich nicht schrecken, wenn sie der Mutter in die Augen schau'n! Elektra höhnisch: Wenn sie der Mutter in die Augen schau'n! Und wie schaust du dem Vater in die Augen? Chrysothemis Hör auf! Elektra Ich wünsch' dir, wenn du Kinder hast, sie mögen an dir tun, wie du am Vater! Chrysothemis weint auf. Elektra Was heulst du? Fort, hinein! Dort ist dein Platz. Es geht ein Lärm los. Stellen sie vielleicht für dich die Hochzeit an? Ich hör sie laufen. Das ganze Haus ist auf. Sie kreissen oder sie morden. Wenn es an den Leichen mangelt, drauf zu schlafen, müssen sie doch morden! Chrysothemis Hör auf. Dies alles ist vorbei. Hör auf! Elektra Vorbei? Da drinnen geht's auf's neue los! Meinst du, ich kenn' den Laut nicht, wie sie Leichen herab die Treppe schleifen, wie sie flüstern und Tücher voller Blut auswinden. Chrysothemis Schwester! geh fort von hier. Elektra Diesmal will ich dabei sein! Nicht so wie damals. Diesmal bin ich stark. Ich werfe mich auf sie, ich reiss' das Beil aus ihrer Hand, ich schwing' es über ihr -- Chrysothemis Geh fort, verkriech dich! dass sie dich nicht sieht. Stell dich ihr heut' nicht in den Weg: sie schickt den Tod aus jedem Blick. Sie hat geträumt. Der Lärm von vielen Kommenden drinnen, näher Geh fort von hier. Sie kommen durch die Gänge. Sie kommen hier vorbei. Sie hat geträumt: ich weiss nicht, was, ich hab' es von den Mägden gehört, ich weiss nicht, ob es wahr ist, Schwester: sie sagen, dass sie von Orest geträumt hat, dass sie geschrien hat aus ihrem Schlaf, wie einer schreit, den man erwürgt. Elektra Ich! ich! ich hab' ihn ihr geschickt. Aus meiner Brust hab' ich den Traum auf sie geschickt! Ich liege und hör die Schritte dessen, der sie sucht. Ich hör' ihn durch die Zimmer gehn, ich hör' ihn den Vorhang von dem Bette heben: schreiend entspringt sie, aber er ist hinterdrein: hinab die Treppen durch Gewölbe hin, Gewölbe und Gewölbe geht die Jagd. Es idt viel finsterer als Nacht, viel stiller und finstrer als im Grab, sie keucht und taumelt im Dunkel hin, doch er ist hinterdrein: die Fackel schwingt er links und rechts das Beil. Und ich bin wie ein Hund an ihrer Ferse: will sie in eine Höhle, spring' ich sie von seitwärts an, so treiben wir sie fort, bis eine Mauer alles sperrt, und dort im tiefsten Dunkel, doch ich seh' ihn wohl, ein Schatten, und doch Glieder und das Weisse von einem Auge doch, da sitzt der Vater: er achtet's nicht und doch muss es geschehn: vor seinen Füssen drücken wir sie hin, da fällt das Beil! Fackeln und Gestalten erfüllen den Gang links von der Tür. Chrysothemis Sie kommen schon. Sie treibt die Mägde alle mit Fackeln vor sich her. Sie schleppen Tiere und Opfermesser. Schwester, wenn sie zittert, ist sie am schrecklichsten, geh ihr nur heut, nur diese Stunde geh aus ihrem Weg! Elektra Ich habe eine Lust, mit meiner Mutter zu reden wie noch nie! An den grell erleuchteten Fenstern klirrt und schlürft ein hastiger Zug vorüber: es ist ein Zerren, ein Schleppen von Tieren, ein gedämpftes Keifen, ein schnell ersticktes Aufschreien, das Niedersausen einer Peitsche, ein Aufraffen, ein Weitertaumeln. Chrysothemis Ich will's nicht hören. Stürzt ab durch die Hoftür In dem breiten Fenster erscheint die Gestalt der Klytämnestra. Ihr fahles, gedunsenes Gesicht, in dem grellen Licht der Fackeln, erscheint noch bleicher über dem scharlachroten Gewand. Sie stützt sich auf eine Vertraute, die dunkelviolett gekleidet ist, und auf einen elfenbeinernen, mit Edelsteinen geschmückten Stab. Eine gelbe Gestalt, mit zurückgekämmtem schwarzem Haar, einer Egypterin ähnlich, mit glattem Gesicht einer aufgerichteten Schlange gleichend, trägt ihr die Schleppe. Die Königin ist über und über bedeckt mit Edelsteinen und Talismanen. Ihre Arme sind voll Reifen, ihre Finger starren von Ringen. Die Lider ihrer Augen scheinen übermässig gross und es scheint ihr eine furchtbare Anstrengung zu kosten, sie offen zu halten. Elektra steht starr aufgerichtet, das Gesicht diesem Fenster zugewandt. Klytämnestra öffnet jäh die Augen, zitternd vor Zorn tritt sie ans Fenster und zeigt mit dem Stock auf Elektra. Klytämnestra am Fenster: Was willst du? Seht doch, dort! so seht doch das! Wie es sich aufbäumt mit geblähtem Hals und nach mir züngelt! und das lass ich frei in meinem Hause laufen! Wenn sie mich mit den Blicken töten könnte! O Götter, warum liegt ihr so auf mir? Warum verwüstet ihr mich so? warum muss meine Kraft in mir gelähmt sein, warum bin ich lebendigen Leibes wie ein wüstes Gefild und diese Nessel wächst aus mir heraus, und ich hab' nicht die Kraft zu jäten! Warum geschieht mir das, ihr ewigen Götter? Elektra Die Götter! bist doch selber eine Göttin! bist, was sie sind. Klytämnestra Habt ihr gehört? habt ihr verstanden, was sie redet? Die Vertraute Dass auch du vom Blut der Götter bist. Die Schleppträgerin zischend: Sie meint es tückisch. Klytämnestra indem ihre schweren Lider zufallen: Mir klingt das so bekannt. Und nur als hätt ich's vergessen, lang und lang. Sie kennt mich gut. Doch weiss man nie, was sie im Schilde führt. Die Vertraute und die Schleppträgerin flüstern miteinander Elektra Du bist nicht mehr du selber. Das Gewürm hängt immerfort um dich. Was sie ins Ohr dir zischen, trennt dein Denken fort und fort entzwei, so gehst du hin im Taumel, immer bist du als wie im Traum. Klytämnestra Ich will hinunter. Lasst, ich will mit ihr reden. Sie ist heute nicht widerlich. Sie redet wie ein Arzt. Die Stunden haben alles in der Hand. Ein jedes Ding kann ein erträgliches Gesicht uns zeigen nach dem grässlichen. Sie geht vom Fenster weg und erscheint in der Tür, die Vertraute an ihrer Seite, die Schleppträgerin hinter ihr, Fackeln hinter ihnen Klytämnestra von der Türschwelle aus: Warum nennst du mich eine Göttin? Sprichst du aus Bosheit so? Nimm dich in acht. Es könnte der letzte Tag sein, dass du dieses Licht da siehst und diese freie Luft einatmest. Elektra Wahrhaftig, wenn du keine Göttin bist, wo sind dann Götter! Ich weiss auf der Welt nichts, was mich schaudern macht, als wie zu denken, dass dieser Leib das dunkle Tor, aus welchem ich an das Licht der Welt gekrochen bin, Auf diesem Schoss bin ich gelegen, nackt? Zu diesen Brüsten hast du mich gehoben? So bin ich ja aus meines Vaters Grab herausgekrochen, hab' gespielt in Windeln auf meines Vaters Richtstatt! Du bist ja wie ein Koloss, aus dessen ehernen Händen ich nie entsprungen bin. Du hast mich ja am Zaum. Du bindest mich, an was du willst. Du hast mir ausgespien, wie das Meer, ein Leben, einen Vater, und Geschwister: und hast hinabgeschlungen, wie das Meer, ein Leben, einen Vater, und Geschwister. Ich weiss nicht, wie ich jemals sterben sollte -- als daran, dass du stürbest. Klytämnestra So ehrst du mich? Ist etwas noch von Scheu in dir? Elektra Viel, viel! Mir geht zu Herzen, was auch dir zu Herzen geht. Siehst du, mich kränkt zu sehen, dass Aegisth, dein Mann, die alten Mäntel von meinem, wie du weisst, verstorbnen Vater, dem frühern König, trägt. Es kränkt mich, wahrhaft: ich finde, dass sie ihm nicht stehn. Ich finde, sie sind ihm um die Brust zu weit. Die Vertraute Sie redet nicht, wie sie's meint. Die Schleppträgerin Ein jedes Wort ist Falschheit. Klytämnestra (zornig): Ich will nichts hören. Was aus euch herauskommt, ist nur der Atem des Aegisth. Ich will nicht an allem nörgeln. Wenn sie zu mir redet, was mich zu hören freut, so will ich horchen auf was sie redet. Was die Wahrheit ist, das bringt kein Mensch heraus. Niemand auf Erden weiss über irgend ein verborgnes Ding die Wahrheit. Gibt's nicht welche in den Kerkern. die sagen, dass ich eine Mörderin und dass Aegisth ein Meuchelmörder ist? Und wenn ich nachts euch wecke, redet ihr nicht jede etwas andres? Schreist nicht du, dass meine Augenlider angeschwollen und meine Leber krank ist, und dass alles nur von der kranken Leber kommt, und winselst nicht du ins andre Ohr, dass du Dämonen gesehen hast mit langen spitzen Schnäbeln, die mir das Blut aussagen? zeigst du nicht die Spuren mir an meinem Fleisch, und folg' ich dir nicht und schlachte, schlachte, schlachte Opfer und Opfer? Zerrt ihr mich mit euren Reden und Gegenreden nicht zu Tod? Ich will nicht mehr hören: dies ist wahr und das ist Lüge. Wenn einer etwas Angenehmes sagt, und wär' es meine Tochter, wär es die da, will ich von meiner Seele alle Hüllen ablösen und das Fächeln sanfter Luft, von wo es kommen mag, einlassen, wie die Kranken tun, wenn sie der kühlen Luft, am Teiche sitzend, abends ihre Beulen und all ihr Eiterndes der kühlen Luft preisgeben abends, und nichts andres denken, als Linderung zu schaffen. So will ich einmal anfangen, selbst für mich zu sorgen. Lasst mich allein mit ihr. Ungeduldig weist sie mit dem Stock die Vertraute und die Schleppträgerin ins Haus. Diese verschwinden zögernd in der Tür. Auch die Fackeln verschwinden und nur aus dem Innern des Hauses fällt ein schwacher Schein durch den Flur auf den Hof und streift hie und da die Gestalten der beiden Frauen Klytämnestra nach einer Pause: Ich habe keine guten Nächte. Weisst du kein Mittel gegen Träume? Elektra näher rückend: Träumst du, Mutter? Klytämnestra Hast du nicht andre Worte, mich zu trösten? Lass deine Zunge los. Ich träume, ja. Wer älter wird, der träumt. Allein es lässt sich vertreiben. Warum stehst du so im Dunkel? Man muss sich nur die Kräfte dienstbar machen, die irgendwo verstreut sind. Es gibt Bräuche. Es muss für alles richtige Bräuche geben. Wie man ein Wort und einen Satz ausspricht, darauf kommt vieles an. Auch auf die Stunde. Und ob man satt ist, oder nüchtern. Mancher kam um, weil er ins Bad gestiegen ist zur unrichtigen Stunde. Elektra Denkst du da an meinen Vater? Klytämnestra Darum bin ich so behängt mit Steinen. Denn es wohnt in jedem ganz sicher eine Kraft. Man muss nur wissen, wie man sie nützen kann. Wenn du nur wolltest, du könntest etwas sagen, das mir nützt. Elektra Ich, Mutter, ich? Klytämnestra Ja, du! denn du bist klug. In deinem Kopf ist alles stark. Du redest von alten Dingen so, wie wenn sie gestern geschehen wären. Aberr ich bin morsch. Ich denke, aber alles türmt sich mir eins übers andre. Und ich tu' den Mund auf, da schreit Aegisth, und was er schreit, das ist mir verhasst, aufbäumen will ich mich und stärker als seine Worte sein -- und finde nichts. Ich finde nichts! ich weiss auf einmal nicht, ob er das heut gesagt hat, was vor Wut mich zittern macht, ob heute oder einmal vor langer Zeit; dann schwindelt's mich, ich weiss auf einmal nicht mehr, wer ich bin, und das ist das Grauen, das hisst mit lebendigem Leib ins Chaos sinken, und Aegisth! Aegisth verhöhnt mich, und ich finde nichts, ich finde die fürchterlichen Dinge nicht, vor denen er schweigen müsste und bleich wie ich selber ins Feuer starren. Aber du hast Worte. Du könntest vieles sagen, was mir nützt. Wenn auch ein Wort nichts weiter ist! Was ist denn ein Hauch! und doch kriecht zwischen Nacht und Tag, wenn ich mit offnen Augen lieg', ein Etwas hin über mich, es ist kein Wort, es ist kein Schmerz, es drückt mich nicht, es würgt mich nicht, es lässt mich liegen, wie ich bin, und da an meiner Seite liegt Aegisth und dort, dort ist der Vorhang; alles sieht mich an, als wär's von Ewigkeit zu Ewigkeit: nichts ist es, nicht einmal ein Alp, und dennoch es ist so fürchterlich, dass meine Seele sich wünscht, erhängt zu sein, und jedes Glied an mir lechzt nach dem Tod, und dabei leb' ich und bin nicht einmal krank; du siehst mich doch: seh' ich wie eine Kranke? Kann man denn vergehen, lebend, wie ein faules Aas? kann man zerfallen, wenn man garnicht krank ist? zerfallen wachen Sinnes, wie ein Kleid, zefressen von den Motten? Und dann schlaf' ich und träume, träume! dass mir in den Knochen das Mark sich löst, und taumle wieder auf, und nicht der zehnte Teil der Wasseruhr ist abgelaufen, und was unter'm Vorhang hereingrinst, ist noch die Fackel vor der Tür, die grässlich zuckt wie ein Lebendiges und meinen Schlaf belauert. Ich weiss nicht, wer die sind, die mir das antun, und ob sie droben oder drunten wo zu Hause sind -- wenn ich dich stehen sehe, wie jetzt, so mein' ich, du musst mit im Spiel sein. Allein wer bist denn du? Du weisst nicht einmal ein Wort zu reden, wenn man auf dich hört. Wem könnt' es so viel nützen oder schaden, ob du lebst oder nicht? Warum siehst du so starr auf mich? Ich will nicht, dass du mich so ansiehst. Aber diese Träume müssen ein Ende haben. Wer sie immer schickt: ein jeder Dämon lässt von uns, sobald das rechte Blut geflossen ist. Elektra Ein jeder! Klytämnestra Und müsst' ich jedes Tier, das kriecht und fliegt, zur Ader lassen und im Dampf des Bluts aufsteh'n und schlafen gehen wie die Völker der letzten Thule in blutrotem Nebel: ich will nicht länger träumen. Elektra Wenn das rechte Blutopfer unter'm Beile fällt, dann träumst du nicht länger. Klytämnestra näher zu ihr tretend: Also wüsstest du, mit welchem geweihten Tier -- Elektra Mit einem ungeweihten! Klytämnestra Das drin gebunden liegt? Elektra Nein! es läuft frei. Klytämnestra begierig: Und was für Bräuche? Elektra Wunderbare Bräuche, und sehr genau zu üben. Klytämnestra Rede doch! Elektra Kannst du mich nicht erraten? Klytämnestra Nein, darum frag' ich. Den Namen sag des Opfertiers. Elektra Ein Weib. Klytämnestra gierig: Von meinen Dienerinnen eine sag! ein Kind? ein jungfäuliches Weib? ein Weib, das schon erkannt vom Manne? Elektra Ja! erkannt! das ist's! Klytämnestra Und wie das Opfer? und welche Stunde, und wo? Elektra An jedem Ort, zu jeder Stunde des Tages und der Nacht. Klytämnestra Die Bräuche sag! Wie brächt' ich's dar? ich selber muss -- Elektra Nein. Diesmal gehst du nicht auf die Jagd mit Netz und Beil. Klytämnestra Wer denn? wer bringt es dar? Elektra Ein Mann. Klytämnestra Aegisth? Elektra lacht: Ich sagte doch: ein Mann! Klytämnestra Wer? gib mir Antwort. Vom Hause jemand? oder muss ein Fremder herbei? Elektra zu Boden stierend, wie abwesend: Ja, ja, ein Fremder. Aber freilich ist er vom Haus. Klytämnestra Gib mir nicht Rätsel auf. Elektra, hör mich an. Ich freue mich, dass ich dich heut einmal nicht störrisch finde. Wenn Eltern hart sind, ist es stets das Kind, das sie zur Härte zwingt. Kein strenges Wort ist ganz unwiderruflich und die Mutter, wenn sie schlecht schläft, denkt lieber sich das Kind im Ehebett als an der Kette liegen. Elektra vor sich: Da geht's dem Kinde umgekehrt: das dächte die Mutter lieber tot als in dem Bette. Klytämnestra Was murmelst du? Ich sage, dass kein Ding unwiderruflich ist. Geht denn nicht alles vor unsern Augen über und verwandelt sich wie ein Nebel? Und wir selber, wir! und unsre Taten! Taten! Wir und Taten! Was das für Worte sind. Bin ich denn noch, die es getan? Und wenn! getan, getan! Getan! was wirfst du mir da für ein Wort in meine Zähne! Da stand er, von dem du immer redest, da stand er und da stand ich und dort Aegisth und aus den Augen die Blicke trafen sich: da war es doch noch nicht geschehn! und dann veränderte sich deines Vaters Blick im Sterben so langsam und grässlich, aber immer noch in meinem hängend -- und da war's geschehn: dazwischen ist kein Raum! Erst war's vorher, dann war's vorbei -- dazwischen hab' ich nichts getan. Elektra Nein, die dazwischen liegt, die Arbeit, die tat das Beil allein. Klytämnestra Wie du die Worte hineinbringst. Elektra Nicht so tüchtig, noch so flink wie du Axthieb auf Axthieb. Klytämnestra Davon will ich nichts hören. Schweig. Wenn mir dein Vater heute entgegenkäme -- so wie ich mit dir da rede, könnt' ich mit ihm reden. Zwar kann sein, mich schauderte, doch kann auch sein, ich könnte zärtlich zu ihm sein und weinen, wie wenn zwei alte Freunde sich begegnen. Elektra vor sich: Grässlich, sie redet von dem Mord als wär's ein Zank vor'm Nachtmahl. Klytämnestra Sag du deiner Schwester, sie soll nicht so wie ein verschreckter Hund vor mir ins Dunkel flüchten. Heiss sie, freundlich wie sich's geziemt, mich grU'ssen, und gelassen mir Rede stehn. Dann weiss ich wahrlich nicht, was mich verhindern könnte, dich und sie vor Winter zu vermählen. Elektra Und der Bruder? Lässt du den Bruder nicht nach Hause, Mutter? Klytämnestra Von ihm zu reden hab' ich dir verboten. Elektra So hast du Furcht vor ihm? Klytämnestra Wer sagt das? Elektra Mutter, du zitterst ja! Klytämnestra Wer fürchtet sich vor einem Schwachsinnigen. Elektra Wie? Klytämnestra Es heisst, er stammelt, liegt im Hofe bei den Hunden und weiss nicht Mensch und Tier zu unterscheiden. Elektra Das Kind war ganz gesund. Klytämnestra Es heisst, sie gaben ihm eine schlechte Wohnung und die Tiere des Hofes zur Gesellschaft. Elektra Ah! Klytämnestra mit gesenkten Augenlidern: Ich schickte viel Gold und wieder Gold, sie sollten ihn gut halten als ein Königskind. Elektra Du lügst! Du schicktest Gold, damit sie ihn erwürgen. Klytämnestra Wer sagt dir das? Elektra Ich seh's in deinen Augen. Allein an deinem Zittern seh' ich auch, dass er noch lebt. Dass du bei Tag und Nacht an nichts denkst als an ihn. Dass dir das Herz verdorrt vor Grauen, weil du weisst: er kommt. Klytämnestra Lüg nicht. Was kümmert mich, wer ausser Haus ist. Ich lebe hier und bin die Herrin. Diener hab ich genug, die Tore zu bewachen, und wenn ich will, lass ich bei Tag und Nacht vor meiner Kammer drei Bewaffnete mit offenen Augen sitzen. Was du redest, das hör' ich nicht einmal. Ich weiss auch nicht, wer dieser ist, von dem du redest. Sehen werd' ich ihn nie: was kümmert's mich, zu wissen, ob er am Leben oder nicht. Ganz einfach, ich bin es satt, von ihm zu träumen. Träume sind ungesund, sie zehren an den Kräften, und ich will leben und die Herrin sein. Ich will nicht solche Anwandlungen haben, mich herzustellen wie ein Hökerweib und dir von meinen Nächten zu erzählen. Ich bin so gut wie krank, und Kranke schwatzen von ihrem Übel, das ist alles. Aber ich will nicht länger krank sein. Und aus dir Sie hebt den Stock drohend gegen Elektra bring' ich so oder so das rechte Wort schon an den Tag. Du hast dich schon verraten, dass du das rechte Opfer weisst und auch die Bräuche, die mir nützen. Sagst du's nicht im Freien, wirst du's an der Kette sagen. Sagst du's nicht satt, so sagst du's hungernd. Träume sind etwas, das man los wird. Wer dran leidet und nicht das Mittel findet, sich zu heilen, ist nur ein Narr. Ich finde mir heraus, wer bluten muss, damit ich wieder schlafe. Elektra mit einem Sprung aus dem Dunkel auf sie zu, immer näher an ihr, immer furchtbarer wachsend: Was bluten muss? Dein eigenes Genick, wenn dich der Jäger abgefangen hat! Er fängt dich ab: doch nur im Lauf! Wer schlachtet ein Opfertier im Schlaf! Er jagt dich auf, er treibt dich durch das Haus! willst du nach rechts, da steht das Bett! nach links, da schäumt das Bad wie Blut! das Dunkel und die Fackeln werfen schwarzrote Todesnetze über dich -- Klytämnestra, von sprachlosem Grauen geschüttelt, will ins Haus. Elektra zerrt sie am Gewand nach vorn. Klytämnestra weicht gegen die Mauer zurück. Ihre Augen sind weit aufgerissen, der Stock entfällt ihren zitternden Händen Du möchtest schreien, doch die Luft erwürgt den ungebornen Schrei und lässt ihn lautlos zu Boden fallen, wie von Sinnen hälst du den Nacken hin, fühlst schon die Schärfe zucken bis in den Sitz des Lebens, doch er hält den Schlag zurück: die Bräuche sind noch nicht erfüllt. Er führt dich an den Flechten deiner Haare, und alles schweigt, du hörst dein eignes Herz an deinen Rippen schlagen: diese Zeit -- sie dehnt sich vor dir wie ein finstrer Schlund von Jahren -- diese Zeit ist dir gegeben zu ahnen, wie es Scheiternden zumut ist, wenn ihr vergebliches Geschrei die Schwärze der Wolken und des Tods zerfrisst, die Zeit ist dir gegeben, alle zu beneiden, die angeschmiedet sind an Kerkermauern, die auf dem Grund von Brunnen nach dem Tod als wie nach der Erlösung schrei'n -- denn du, du liegst in deinem Selbst so eingekerkert, als wär's der glühende Bauch von einem Tier von Erz -- und so wie jetzt kannst du nicht schreien! Und ich steh' neben dir: du kannst den Blick nicht von mir wenden, immer krampft es dich, dass du von meinem schweigenden Gesicht ein Wort ablesen willst, du rollst die Augen, willst irgend etwas denken, willst die Götter heruntergrinsen aus dem Nachtgewölk: die Götter sind beim Nachtmahl! so wie damals, als du den Vater würgtest, sitzen sie beim Nachtmahl und sind taub für jedes Röcheln! Nur ein halbtoller Gott, das Lachen, taumelt zur Tür herein: er glabt, du triebest Scherze zur Schäferstunde mit Aegisth, allein sogleich bemerkt er seinen Irrtum, lacht lautgellend auf und ist im Nu davon. Da hast auch du genug. Die Galle träufelt dir bitter auf das Herz, verendend willst du dich auf ein Wort besinnen, irgend eines noch von dir geben, nur ein Wort, anstatt der blut'gen Träne, die dem Tier sogar im Sterben nicht versagt ist: da steh' ich vor dir, und nun liest du mit starrem Aug' das ungeheure Wort, das mir in mein Gesicht geschrieben ist: denn mein Gesicht ist aus des Vaters und aus deinen Zügen gemischt, und da hab' ich mit meinem stummen Dastehn dein letztes Wort zunicht' gemacht, erhängt ist dir die Seele in der selbst- gedrehten Schlinge, sausend fällt das Beil, und ich steh' da und seh' dich endlich sterben! Dann träumst du nimmermehr, dann brauche ich nicht mehr zu träumen, und wer dann noch lebt, der jauchzt und kann sich seines Lebens freuen! Sie stehen einander, Elektra in wildester Trunkenheit, Klytämnestra grässlich atmend vor Angst, Aug' in Aug'. In diesem Augenblick erhellt sich der Hausflur und die Vertraute kommt herausgelaufen. Sie flüstert Klytämnestra etwas ins Ohr. Diese scheint erst nicht recht zu verstehen. Allmählich kommt sie zu sich. Sie winkt: Lichter! Es treten Dienerinnen mit Fackeln heraus, stellen sich hinter Klytämnestra. Sie winkt: Mehr Lichter! Es kommen mehr heraus, stellen sich hinter sie, so dass der Hof voll von Licht wird und rotgelber Schein an den Mauern flutet. Nun verändern sich die Züge der Klytämnestra allmählich und die Spannung des Grauens weicht einem bösen Triumph. Sie lässt sich die Botschaft abermals zuflüstern und verliert dabei Elektra keinen Augenblick aus dem Auge. Ganz bis an den Hals sich sättigend mit einer wilden Freude, streckt sie die beiden Hände drohend gegen Elektra. Dann hebt ihr die Vertraute den Stock auf und, auf beide sich stützend, eilig, gierig, an den Stufen ihr Gewand aufraffend, läuft sie ins Haus. Die Dienerinnen mit den Lichtern, wie gejagt, hinter ihr drein. Elektra während dessen: Was sagen sie ihr denn? sie freut sich ja! Mein Kopf! Mir fällt nichts ein. Worüber freut sich das weib? Chrysothemis kommt, laufend, zur Hoftür herein, laut heulend wie ein verwundetes Tier. Elektra Chrysothemis! Schnell, schnell, ich brauche Aushilfe. Sag' mir etwas auf der Welt, worüber man sich freuen kann! Chrysothemis schreiend: Orest! Orest ist tot! Elektra winkt ihr ab, wie von Sinnen: Sei still! Chrysothemis dicht bei ihr: Orest ist tot! Elektra bewegt die Lippen. Chrysothemis Ich kam hinaus, da wussten sie's schon! Alle standen herum und alle wussten's schon, nur wir nicht. Elektra Niemand weiss es. Chrysothemis Alle wissen's! Elektra Niemand kann's wissen: denn es ist nicht wahr. Chrysothemis wirft sich auf den Boden. Elektra reisst sie empor: Es ist nicht wahr! ich sag' dir doch! ich sag' dir, es ist nicht wahr! Chrysothemis Die Fremden standen an der Wand, die Fremden, die hergeschickt sind, es zu melden: zwei, ein Alter und ein Junger. Allen hatten sie's schon erzählt, im Kreise standen alle um sie herum und alle wussten's schon. Elektra Es ist nicht wahr. Chrysothemis Nur uns erzählt man's nicht! An uns denkt niemand. Tot! Elektra, tot! Ein junger Diener kommt eilig aus dem Haus, stolpert über die vor der Schwelle Liegende hinweg: Platz da! wer lungert so vor einer Tür? Ah, konnt' mir's denken! Heda, Stallung! he! Der Koch kommt rechts aus einer Tür: Was gibt's? Ein junger Diener Nach einem Stallknecht schrei' ich mir die Lunge aus, und wer aus seinem Loch kriecht, das ist der Koch. Ein alter Diener finsteren Gesichts, zeigt sich an der Hoftür: Was soll's im Stall? Ein junger Diener Gesattelt soll werden, und so rasch als möglich! hörst du? ein Gaul, ein Maultier, oder meinetwegen auch eine Kuh, nur rasch! Ein alter Diener Für wen? Ein junger Diener Für den, der dir's befiehlt. Da glotzt er! Rasch, für mich! Sofort! für mich! Trab, trab! Weil ich hinaus muss auf's Feld, den Herren holen, weil ich ihm Botschaft zu bringen habe, grosse Botschaft, wichtig genug, um eine eurer Mähren zutod zu reiten. Ein alter Diener verschwindet. Der Koch Was für Botschaft? rede ein Wort! Ein junger Diener Mit einem Wort, mein guter Koch, wär dir wahrscheinlich nicht gedient. Auch könnte man schwerlich, was ich weiss und an den Herren zu melden hab', so kurzweg in ein Wort zusammenfassen: lass es dir genügen, wenn man dir sagt, dass eine Botschaft ist von höchster Wichtigkeit soeben hier im Hause eingetroffen, eine Botschaft, -- wie lange solch ein alter Knochen braucht um aufzusatteln! -- die, als treuen Diener der Herrschaft, dich zu freuen hat: ob du sie kennst, ob nicht, ganz gleich, sie hat dich zu erfreuen. Inden Hof brüllend: Eine Peitsche, Schuft! was, meinst du, ich werd' ihn ohne Peitsche reiten? Du, du lässt mich warten und nicht ich den Gaul! Zum Koch, schon auf dem Sprunge abzugehen: Und kurz und gut: der junge Bursch' Orest, der Sohn vom Haus, der immer ausser Haus war und drum so gut wie tot: kurz dieser, der schon eh' und immer sozusagen tot war, der ist nun sozusagen wirklich tot! Springt ab Der Koch gegen Elektra und Chrysothemis hin, die aneinandergedrückt daliegen, wie ein Leib, den das Schluchzen der Chrysothemis schüttelt und über den sich das totenbleiche schweigende Gesicht der Elektra hebt: Eh! jetzt hab' ich's heraus! Die Hunde heulen beim Vollmond, und ihr heult, weil jetzt für euch auf immer Neumond ist. Die Hunde jagt man, wenn sie die Hausruh' stören. Gebt ihr acht, sonst geht's euch ebenso. Geht wieder hinein Chrysothemis halbaufgerichtet: Gestorben in der Fremde! tot! begraben dort in dem fremden Land. Von seinen Pferden erschlagen und geschlieft! Ach, sein Gesicht unkenntlich, sagen sie. Wir haben's nie gesehen, sein Gesicht! Wenn wir ihn denken, so denken wir ein Kind. Und er war gross. Ob er vor seinem Sterben nicht nach uns verlangte! Ich hab' sie nicht fragen können: es standen alle ringsherum. Elektra, wir müssen hin und mit den Männern sprechen. Elektra vor sich: Nun muss es hier von uns geschehn. Chrysothemis Elektra, wir wollen hingehn: es sind zwei, ein Alter und ein viel Jüngerer, wenn sie erfahren, dass wir die Schwestern sind, die armen Schwestern, so sagen sie uns alles. Elektra Was frommt noch zu wissen? dass er tot ist, wissen wir. Chrysothemis Dass sie uns nichts, nicht einmal eine Locke, nicht eine kleine Locke mitgebracht! Wie wenn wir gar nicht auf der Welt mehr wären, wir beiden Mädchen. Elektra Darum müssen wir jetzt zeigen, dass wir's sind. Chrysothemis Elektra? Elektra Wir! Wir beide müssen's tun. Chrysothemis Elektra, was? Elektra Am besten heut', am besten diese Nacht. Chrysothemis Was, Schwester? Elektra Was? Das Werk, das nun auf uns gefallen ist, weil er nicht kommen kann und ungetan es ja nicht bleiben darf. Chrysothemis Was für ein Werk? Elektra Nun müssen du und ich hingehen und das Weib und ihren Mann erschlagen. Chrysothemis Schwester, sprichst du von der Mutter? Elektra Von ihr. Und auch von ihm. Ganz ohne Zögern muss es geschehn. Chrysothemis sprachlos. - - - - - - Elektra Schweig still. Zu sprechen ist nichts. Nichts gibt es zu bedenken, als nur: wie? wie wir es tun. Chrysothemis Ich? Elektra Ja. Du und ich. Wer sonst? Hat unser Vater andre Kinder, die wo im Haus versteckt sind und zu Hülfe uns kommen könnten? Nein, soviel ich weiss. Chrysothemis Wir beide sollen hingehn? Wir? wir zwei? mit unsern beiden Händen? Elektra Dafür lass du mich nur sorgen. Chrysothemis Wenn du auch ein Messer -- Elektra verächtlich: Ein Messer! Chrysothemis Oder auch ein Beil -- Elektra Ein Beil! Das Beil! das Beil, womit der Vater -- Chrysothemis Du? Entsetzliche, du hast es? Elektra Für den Bruder bewahrt' ich es. Nun müssen wir es schwingen. Chrysothemis Du? diese Arme den Aegisth erschlagen? Elektra Erst ihn, dann sie; erst sie, dann ihn, gleichviel. Chrysothemis Ich fürchte mich. Du bist wie ausser dir. Elektra Es schläft niemand in ihrem Vorgemach. Chrysothemis Im schlaf sie morden, und dann weiter leben! Elektra Es handelt sich um ihn, und nicht um uns. Chrysothemis Kämst du zu dir, den Wahnsinn einzusehn! Elektra Wer schläft, ist ein gebundnes Opfer. Schliefen sie nicht zusamm', könnt' ich's allein vollbringen. So aber musst du mit. Chrysothemis abwehrend: Elektra! Elektra Du! denn du bist stark! Dicht an ihr Wie stark du bist! dich haben die jungfräulichen Nächte stark gemacht. Wie schlank und biegsam deine Hüften sind! Du windest dich durch jeden Spalt, du hebst dich durch's Fenster! Lass mich deine Arme fühlen: wie kühl und stark sie sind! Wie du mich abwehrst, fühl' ich, was das für Arme sind. Du könntest mich, oder einen Mann mit deinen Armen an deine kühlen festen Brüste pressen, dass man ersticken müsste! Überall ist so viel Kraft in dir! Sie strömt wie kühles verhaltnes Wasser aus dem Fels. Sie flutet mit deinen Haaren auf die starken Schultern herunter! Chrysothemis Lass mich! Elektra Nein: ich halte dich! Mit meinen traurigen verdorrten Armen umschling ich deinen Leib, wie du dich sträubst, ziehst du den Knoten nur noch fester, ranken will ich mich rings um dich und meine Wurzeln in dich versenken und mit meinem Willen das Blut dir impfen! Chrysothemis Lass mich! Flüchtet ein paar Schritte Elektra wild ihr nach, fasst sie am Gewand: Nein! Chrysothemis Elektra! lass mich! Elektra Ich lass dich nicht. Wir müssen so verwachsen ineinander, bis das Messer, das meinem Leib von deinem reissen wollte, auch gleich den Tod uns gibt, denn nun sind wir allein auf dieser Welt. Chrysothemis Elektra, hör mich. Du bist so klug, hilf uns aus diesem Haus, hilf uns ins Freie. Elektra ohne sie zu hören: Du bist voller Kraft die Sehnen hast du wie ein Füllen, schlank sind deine Füsse, leicht umschling' ich sie mit meinen Armen wie mit einem Strick. Ich spüre durch die Kühle deiner Haut das warme Blut hindurch, mit meiner Wange spür' ich den Flaum auf deinen jungen Armen: Du bist wie eine Frucht am Tag der Reife. Von jetzt an will ich deine Schwester sein, so wie ich niemals deine Schwester war! Ich will mit dir in deiner Kammer sitzen und warten auf den Bräutigam, für ihn will ich dich salben und ins duftige Bad sollst du mir tauchen wie der junge Schwan und deinen Kopf an meiner Brust verbergen bevor er dich, die durch die Schleier glüht wie eine Fackel, in das Hochzeitsbett mit starken Armen zieht. Chrysothemis schliesst die Augen: Nicht, Schwester, nicht. Sprich nicht ein solches Wort in diesem Haus. Elektra O ja! weit mehr als Schwester bin ich dir von diesem Tage an: ich diene dir wie deine Sklavin. Wenn du liegst in Weh'n, steh' ich an deinem Bette Tag und Nacht, wehr' dir die Fliegen, schöpfe kühles Wasser, und wenn auf einmal auf dem nackten Schoss dir ein Lebendiges liegt, erschreckend fast, so heb' ich dir's empor, so hoch! damit sein Lächeln hoch von oben in die tiefsten geheimsten Klüfte deiner Seele fällt und dort das letzte, eisig Grässliche vor dieser Sonne schmilzt und du's in hellen Tränen ausweinen kannst. Chrysothemis O bring' mich fort! Ich sterb' in diesem Haus! Elektra an ihren Knieen: Dein Mund ist schön, wenn er sich einmal auftut um zu zürnen! Aus deinem reinen starken Mund muss furchtbar ein Schrei hervorsprüh'n, furchtbar wie der Schrei der Todesgöttin, wenn man unter dir so daliegt, wie nun ich: wenn man auf einmal erwacht und wie die Todesgöttin dich zu Häupten findet! wenn man unter dir gebunden liegt, und so an dir hinaufsieht an deinem schlanken Leib mit starrem Aug emporschau'n muss, so wie Gescheiterte emporschau'n an der Klippe, eh' sie sterben. Chrysothemis Was redest du? Elektra aufstehend: Denn eh du diesem Haus und mir entkommst, musst du es tun! Chrysothemis will reden. Elektra hält ihr den Mund zu: Dir führt kein Weg hinaus als der. Ich lass' dich nicht, eh du mir Mund auf Mund es zugeschworen, dass du es tun wirst. Chrysothemis windet sich los: Lass mich! Elektra fasst sie wieder: Schwör', du kommst heut Nacht, wenn alles still ist, an den Fuss der Treppe. Chrysothemis Lass mich! Elektra hält sie am Gewand: Mädchen, sträub' dich nicht! es bleibt kein Tropfen Blut am Leibe haften: schnell schlüpfst du aus dem blutigen Gewand mit reinem Leib ins hochzeitliche Hemd. Chrysothemis Lass mich! Elektra Sei nicht zu feige! Was du jetzt an Schaudern überwindest, wird vergolten mit Wonneschaudern Nacht für Nacht -- Chrysothemis Ich kann nicht! Elektra Sag, dass du kommen wirst! Chrysothemis Ich kann nicht! Elektra Sieh, ich lieg' vor dir, ich küsse deine Füsse! Chrysothemis ins Haustor entspringend: Ich kann nicht! Elektra ihr nach: Sei verflucht! vor sich, mit wilder Entschlossenheit Nun denn allein! Sie fängt an der Wand des Hauses, seitwärts der Türschwelle, eifrig zu graben an, lautlos, wie ein Tier. Hält inne, sieht sich um, gräbt wieder. Orest steht in der Hoftür, von der letzten Helle sich schwarz abhebend. Er tritt herein. Elektra blickt auf ihn. Er dreht sich langsam um, so dass sein Blick auf sie fällt. Elektra fährt heftig auf, zittert. Elektra Was willst du, fremder Mensch? was treibst du dich zur dunklen Stunde hier herum, belauerst, was andre tun! Kann sein, du selber hast im Sinne, was von andern nicht belauscht du wünschest. Also lass auch mich in Ruh. Ich hab' hier ein Geschäft. Was kümmert's dich! Tritt ab und lass mich an der Erde wühlen. Verstehst du, was man redet? oder lässt die Neugier dich nicht los? Ich grab' nichts ein, ich grab' was aus. Und nicht das Totenbein von einem kleinen Kind, das ich vor Tagen verscharrt hab'. Nein, mein Bursch, ich gab kein Leben, so braucht' ich auch kein Leben zu ersticken, noch zu vergraben. Wenn der Leib der Erde einmal aus meinen Händen was empfängt, so ist's woraus ich kam, nicht was aus mir kam. Ich grab' was aus: kaum wirst du aus dem Licht sein, so werd' ich's haben und es herzen und es küssen, so wie wenn's mein lieber Bruder und auch mein lieber Sohn in einem wäre. Orest So hast du nichts auf Erden, was dir lieb ist, dass du ein Etwas aus der Erde scharren und küssen willst? bist denn du ganz allein? Elektra Ich bin nicht Mutter, habe keine Mutter, bin kein Geschwister, habe kein Geschwister, lieg' vor der Tür und bin doch nicht der Wachhund, ich red' und stehe doch nicht Rede, lebe und lebe nicht, hab' langes Haar und fühle doch nichts von dem, was Weiber, heisst es, fühlen: kurz, bitte, geh und lass mich! lass mich! lass mich! Orest Ich muss hier warten. Elektra Warten? Eine Pause Orest Doch du bist hier aus dem Haus? bist eine von den Mägden des Hauses? Elektra Ja, ich diene hier im Haus. Du aber hast hier nichts zu schaffen. Freu dich und geh. Orest Ich sagte dir, ich muss hier warten, bis sie mich rufen werden. Elektra Die da drinnen? Du lügst. Weiss ich doch gut, der Herr ist nicht zu Haus'. Und sie, was sollte sie mit dir? Orest Ich und noch einer, der mit mir ist, wir haben einen Auftrag hier an die Frau. Elektra schweigt. Orest Wir sind an sie geschickt, weil wir bezeugen können, dass ihr Sohn Orest gestorben ist vor unsren Augen. Denn ihn erschlugen seine eignen Pferde. Ich war so alt wie er, und sein Gefährte bei Tag und Nacht; der andre, der mit mir ist, ein alter Mann, der war der Aufseher und Pfleger, den wir hatten. Elektra Hab' ich dich noch sehen müssen! hast du dich hierher in meinen traurigen Winkel schleppen müssen, Herold des Unglücks! Kannst du deine Botschaft nicht austrompeten dort, wo sie sich freu'n! Du lebst -- und er, der besser war als du und edler tausendmal und tausendmal so wichtig, dass er lebte -- er ist hin! Dein Aug' da starrt mich an und seins ist Gallert. Dein Mund geht auf und zu und seiner ist mit Erde vollgestopft. Könnt' ich den deinen mit Flüchen stopfen! geh mir aus den Augen. Orest Was willst du denn? sie nehmen's hier im Haus mit Freude auf. Lass doch den Toten tot sein. Lass den Orest. Orest ist nun einmal gestorben, und das alles musste kommen, so wie es kam. Er freute sich zu sehr an seinem Leben, und die Götter droben vertragen nicht den allzuhellen Laut der Lust, ein allzu starkes Flügelschlagen vor Abend widert sie, sie greifen schnell nach einem Pfeil und nageln das Geschöpf an seines dunklen Schicksals finster Baum, der ihm im Stillen irgendwo schon längst gewachsen war. So musste er denn sterben. Elektra Wie er vom Sterben redet, dieser Bursche! Als hätte er's geschmeckt und wieder aus- gespie'n. Doch ich! doch ich! da liegen, und zu wissen, dass das Kind nie wieder kommt, dass die da drinnen leben und sich freuen, dass dies Gezücht in seiner Höhle lebt und isst und trinkt und schläft und sich vermehrt, indes das Kind da unten in den Klüften des Grausens lungert, und dem Vater nicht sich in die Nähe wagt. Und ich hier droben allein! wie nicht das Tier des Waldes einsam und grässlich lebt. Orest Wer bist denn du? Elektra Was kümmert's dich, wer ich bin. Hab' ich gefragt, wer du bist? Orest Ich kann nicht anders, als zu denken: du musst ein verwandtes Blut zu denen sein, die starben, Agamemnon und Orest. Elektra Verwandt? ich bin dies Blut! ich bin das hündisch vergoss'ne Blut des Königs Agamemnon! Elektra heiss' ich. Orest Nein! Elektra Er leugnet's ab. Er bläst auf mich und nimmt mir meinen Namen. Weil ich nicht Vater und nicht Bruder hab', bin ich der Spott der Buben! Wer des Wegs kommt, stösst mit dem Fuss nach mir, sie lassen mir auch meinen Namen nicht! Orest Elektra muss zehn Jahre jünger sein als du. Elektra ist gross, ihr Aug' ist traurig, aber sanft, wo dein's voll Blut und Hass. Elektra wohnt abseits der Menschen und ihr Tag vergeht mit Hüten eines Grabes. Zwei, drei Frauen hat sie um sich, die lautlos dienen, Tiere umschleichen ihre Wohnung scheu und schmiegen sich, wenn sie geht, an ihr Gewand. Elektra klatscht in die Hände: Recht! recht! Erzähl' mir noch was Schönes von Elektra. Ich werd' ihr's wiedersagen, wenn ich sie mit erstickter Stimme sehe. Orest So seh' ich sie? ich seh' sie wirklich? du? schnell So haben sie dich darben lassen oder -- sie haben dich geschlagen? Elektra Wer bist du mit deinen vielen Fragen? Orest Sag mir's sag mir's! Sag! Elektra Beides! beides! beides! Königinnen gedeihen nicht, wenn man sie mit dem Wegwurf vom Zugemüse füttert, Priesterinnen sind nicht geschaffen, dass man nach der Peitsche sie springen lässt und in so kurzen Lumpen statt eines wallenden Gewandes. Lass mein Kleid, wühl nicht mit deinem Blick daran. Orest Elektra! Was haben sie gemacht mit deinen Nächten! Furchtbar sind deine Augen. Elektra verbissen Geh ins Haus, drin hab' ich eine Schwester, die bewahrt sich für Freudenfeste auf! Orest Elektra, hör mich. Elektra Ich will nicht wissen, wer du bist, du sollst mir nicht näher kommen. Ich will niemand sehen! Kauert sich, das Gesicht gegen die Wand Orest Hör zu, ich hab' nicht Zeit. Hör zu. Ich darf nicht laut reden. Hör mich an: Orestes lebt. Elektra wirft sich herum. Orest Gib keinen laut von dir. Wenn du dich regst, verrätst du ihn. Elektra So ist er frei? wo ist er? Du weisst es, wo? er ist versteckt? er liegt gefangen! irgendwo in einem Winkel gekauert wartet er auf seinen Tod! Ich muss ihn sterben sehn, sie haben dich geschickt, um mich zu foltern, meine Seele sollst du aufziehn an einem Strick, und wieder zu Boden schmettern! Orest Er ist unversehrt wie ich. Elektra So rett ihn doch! bevor sie ihn erwürgen. Kannst du ihm kein Zeichen geben? Ich küsse deine Füsse, dass du ihm ein Zeichen gibst. Bei deines Vaters Leichnam beschwör' ich dich, so schnell du laufen kannst, lauf hin und bring ihn fort! das Kind muss sterben, wenn es die Nacht in diesem Haus verbringt. Orest Bei meines Vaters Leichnam! dazu kam das Kind ins Haus, damit noch diese Nacht die sterben, welche sterben sollen -- Elektra von seinen Ton getroffen: Wer bist du? Der alte finstre Diener stürzt aus dem Hof lautlos herein, wirft sich vor Orest nieder, küsst seine Füsse, rafft sich auf, angstvoll um sich schauend, und stürzt lautlos wieder ab. Elektra kaum ihrer mächtig: Wer bist du denn? Ich fürchte mich. Orest sanft: Die Hunde auf dem Hof erkennen mich, und meine Schwester nicht? Elektra schreit auf: Orest! Orest fieberhaft: Wenn einer dich im Haus gehört hat, der hat jetzt mein Leben in der Hand. Elektra ganz leise, bebend: Orest! Es rührt sich niemand. O lass deine Augen mich sehen! Nein, du sollst mich nicht berühren! Tritt weg, ich schäme mich vor dir. Ich weiss nicht, wie du mich ansiehst. Ich bin nur mehr der Leichnam deiner Schwester, mein armes Kind. Ich weiss, es schaudert dich vor mir. Und war doch eines Königs Tochter! Ich glaube, ich war schön: wenn ich die Lampe ausblies vor meinem Spiegel, fühlte ich mit keuschem Schauder, wie mein nackter Leib vor Unberührtheit durch die schwüle Nacht wie etwas Göttliches hinleuchtete. Ich fühlte, wie der dünne Strahl des Monds in seiner weissen Nacktheit badete so wie in einem Weiher, und mein Haar war solches Haar, vor dem die Männer zittern, dies Haar, versträhnt, beschmutzt, erniedrigt, dieses! Verstehst du's, Bruder! diese süssen Schauder hab' ich dem Vater opfern müssen. Meinst du, wenn ich an meinem Leib mich freute, drangen nicht seine Seufzer, drang sein Stöhnen nicht bis an mein Bette? Eifersüchtig sind die Toten: und er schickte mir den Hass, den hohläugigen Hass als Bräutigam. Da musste ich den Grässlichen, der atmet wie eine Viper, über mich in mein schlafloses Bette lassen, der mich zwang, alles zu wissen, wie es zwischen Mann und Weib zugeht. Die Nächte, weh, die Nächte, in denen ich's begriff! Da war mein Leib eiskalt und doch verkohlt, im Innersten verbrannt. Und als ich endlich alles wusste, da war ich weise, und die Mörder hielten -- -- die Mutter mein' ich, und den, der bei ihr ist, -- nicht einen meiner Blicke aus! Was schaust du ängstlich um dich? sprich zu mir! sprich doch! Du zitterst ja am ganzen Leib! Orest Lass zittern diesen Leib. Meinst du, er würde nicht noch ganz anders zittern, könnt' er ahnen, was ich für einen Weg ihn führen werde? Elektra Du willst es tun? Allein? Du armes Kind. Hast du dir keine Freunde mitgebracht? Orest Las, sprich nicht viel davon. Mein alter Pfleger ist mit. Doch der es tuen wird, bin ich. Elektra Ich hab' die Götter nie gesehn, allein ich weiss, sie werden da sein, dir zu helfen. Orest Ich weiss nicht, wie die Götter sind. Ich weiss nur: sie haben diese Tat mir auferlegt, und sie verwerfen mich, wofern ich schaudre. Elektra Du wirst es tun! Orest Ja, ja. Müsst' ich der Mutter nur nicht vorher in ihre Augen schau'n. Elektra Sieh mich doch an, was sie aus mir gemacht hat. Orest sieht sie traurig an. Elektra Du Kind! du Kind! du kommst, verstohlen bist du gekommen, von dir selber redest du als wie von einem Toten, und du lebst! Orest leise: Gib acht! Elektra Wer bin denn ich, dass du auf mich so liebe Blicke heftest? Sieh, ich bin gar nichts. Ich habe alles, was ich war, hingeben müssen. Auch die Scham, die süsser als alles ist, die, wie der Silberdunst, der milchige, beim Mond, um jedes Weib herum ist und das Grässliche von ihr und ihrer Seele weghält! Meine Scham hab' ich geopfert, so wie unter Räuber bin ich gefallen, die mir auch das letzte Gewand vom Leibe rissen! ohne Brautnacht bin ich nicht, wie die Jungfrau'n sind, die Qualen von einer, die gebärt, hab' ich gespürt und habe nichts zur Welt gebracht, und eine Prophetin bin ich immerfort gewesen und habe nichts hervorgeholt aus mir und meinem Leib wie Flüche und Verzweiflung. Nachts hab' ich nicht geschlafen, hab' mein Lager mir auf dem Turm gemacht, und hab' geschrieen im Hofe und gewinselt mit den Hunden. Verhasst bin ich geworden und hab' alles gesehen, alles hab' ich sehen müssen so wie der Wächter auf dem Turm, und Tag ist Nacht, und Nacht ist wieder Tag geworden, und an der Sonne nicht und an den Sternen hab' ich mich nicht gefreut, denn alles war mir um seinetwillen nichts, es war mir alles nur Merkzeichen, und jeder Tag war nur ein Merkstein auf dem Weg! Orest O meine Schwester. Elektra Was willst du? Orest Schwester, ob die Mutter nicht dir ähnlich sieht? Elektra wild: Mir ähnlich? Nein. Ich will nicht, dass du ihr ins Gesicht siehst. Wenn sie tot ist, dann wollen wir zusammen ihr Gesicht ansehen. Bruder, sie warf unsrem Vater ein weisses Hemde über, und dann schlug sie auf das, was vor ihr stand, auf das, was hilflos, was ohne Augen war und sein Gesicht nicht nach ihr wenden konnte, was die Arme nicht frei bekommen konnte -- hörst du mich? -- auf das schlug sie mit hochgehobnem Beil von oben zu. Orest Elektra! Elektra Ihr Gesicht hat sie von ihren Taten. Orest Ich will's tun, ich will es eilig tuen. Elektra Der ist selig, der tuen darf! Die Tat ist wie ein Bette, auf dem die Seele ausruht, wie ein Bett von Balsam, drauf die Seele ruhen kann, die eine Wunde ist, ein Brand, ein Eiter und eine Flamme! Der Pfleger Orests steht in der Hoftür, ein starker Greis mit blitzenden Augen. Elektra Bruder, wer ist dieser? Der Pfleger des Orest hastig auf sie zu: Seid ihr von Sinnen, dass ihr euren Mund nicht bändigt, wo ein Hauch, ein Laut, ein Nichts uns und das Werk verderben kann -- Elektra Wer ist das? Orest Kennst du ihn nicht? Wenn du mich lieb hast, dank ihm. Du dankst ihm, dass ich bin. Dies ist Elektra. Elektra Du! du! o nun ist alles wirklich! alles knüpft sich zusammen! Lass mich deine Hände dir küssen! Ich weiss von den Göttern nichts, ich weiss nicht, wie sie sind, drum küss ich lieber dir deine Hände. Der Pfleger des Orest Still, Elektra, still! Elektra Nein, jubeln will ich über dich, weil du ihn hast hierhergetrieben. Als ich hasste, da schweig ich reichlich. Hass ist nichts, er zehrt und zehrt sich selber auf, und Liebe ist noch weniger als Hass, sie greift nach allem und kann nichts fassen, ihre Hände sind wie Flammen, die nichts fassen, alles Denken ist nichts, und was aus einem Mund hervorkommt, ist ohnmächtige Luft, nur der ist selig, der seine Tat zu tun kommt! und selig, wer ihn anrühren darf, und wer das Beil ihm aus der Erde gräbt, und wer die Fackel ihm hält, und wer die Tür ihm auftut, selig, wer an der Türe horchen darf. Der Pfleger des Orest fasst sie rauh und drückt seine Hand gegen ihren Mund: Schweig still! Zu Orest in fliegender Eile Sie wartet drinnen. Ihre Mägde suchen nach dir. Es ist kein Mann im Haus. Orest! Orest reckt sich auf, seinen Schauder bezwingend Die Tür des Hauses erhellt sich, und es erscheint eine Dienerin mit einer Fackel, hinter ihr die Vertraute. Elektra ist zurückgesprungen, steht im Dunkel. Die Vertraute verneigt sich gegen die beiden Fremden, winkt, ihr hinein zu folgen. Die Dienerin befestigt die Fackel an einem eisernen Ring im Türpfosten. Orest und der Pfleger gehen hinein. Orest schliesst einen Augenblick, schwindelnd, die Augen, der Pfleger ist dicht hinter ihm, sie tauschen einen schnellen Blick. Die Tür schliesst sich hinter ihnen. Elektra allein, in entsetzlicher Spannung. Sie läuft auf einem Strich vor der Tür hin und her, mit gesenkten Kopf, wie das gefangene Tier im Käfig. Plötzlich steht sie still und sagt: Ich habe ihm das Beil nicht geben können! Sie sind gegangen und ich habe ihm das Beil nicht geben können. Es sind keine Götter im Himmel! Abermals ein furchtbares Warten. Da tönt von drinnen, gellend, der Schrei der Klytämnestra. Elektra schreit auf wie ein Dämon: Triff noch einmal! Von drinnen ein zweiter Schrei. Aus dem Wohngebäude links kommen Chrysothemis und eine Schar Dienerinnen heraus. Elektra steht in der Tür, mit dem Rücken an die Tür gepresst. Chrysothemis Es muss etwas geschehen sein. Eine Sie schreit so aus dem Schlaf. II. Magd Es müssen Männer drin sein. Ich habe Männer gehen hören. III. Magd Alle die Türen sind verriegelt. IV. Magd Es sind Mörder! Es sind Mörder im Haus! I. Magd schreit auf: Oh! Alle Was ist? I. Magd Seht ihr denn nicht: dort an der Tür steht einer! Chrysothemis Das ist Elektra! das ist ja Elektra! II. Magd Warum spricht sie denn nicht? Chrysothemis Elektra, warum sprichst du denn nicht? I. Magd Ich will hinaus und Männer holen. Läuft rechts hinaus Chrysothemis Mach uns doch die Tür auf, Elektra! Mehrere Elektra, lass uns in das Haus! I. Magd durch die Hoftür zurückkommend, schreit: Zurück! Alle erschrecken. I. Magd Aegisth! Zurück in unsre Kammern! schnell! Aegisth kommt durch den Hof! Wenn er uns findet und wenn im Hause was geschehen ist, lässt er uns töten. Alle Schnell, zurück! zurück! Sie verschwinden im Hause links. Aegisth am Eingang rechts: Ist niemand da, zu leuchten? Rührt sich keiner von allen diesen Schuften? Kann das Volk mir keine Zucht annehmen! Elektra nimmt die Fackel aus dem Ring, läuft hinunter, ihm entgegen, neigt sich vor ihm. Aegisth erschrickt vor der wirren Gestalt im zuckenden Licht, weicht zurück: Was ist das für ein unheimliches Weib? Ich hab' verboten, dass ein unbekanntes Gesicht mir in die Nähe kommt! Erkennt sie, zornig. Was, du? Wer heisst dich, mir entgegengehen? Elektra Darf ich nicht leuchten? Aegisth Nun, dich geht die Neuigkeit ja doch vor allen an. Wo find' ich denn die fremden Männer, die das von Orest uns melden? Elektra Drinnen. Eine liebe Wirtin fanden sie vor, und sie ergetzen sich mit ihr. Aegisth Und melden also wirklich, dass er gestorben ist, und melden so, dass nicht zu zweifeln ist? Elektra O Herr, sie melden's nicht mit worten bloss, nein, mit leibhaftigen Zeichen, an denen auch kein Zweifel möglich ist. Aegisth Was hast du in der Stimme? Und was ist in dich gefahren, dass du nach dem Mund mir reden willst? Was taumelst du so hin und her mit deinem Licht! Elektra Es ist nichts andres, als dass ich endlich klug ward und zu denen mich halte, die die Stärkern sind. Erlaubst du, dass ich voran dir leuchte? Aegisth Bis zur Tür. Was tanzest du? Gib Obacht. Elektra indem sie ihn, wie in einem unheimlichen Tanz, umkreist, sich plötzlich tief bückend: Hier! die Stufen, dass du nicht fällst. Aegisth an der Haustür: Warum ist hier kein Licht? Wer sind die dort? Elektra Die sind's, die in Person dir aufzuwarten wünschen, Herr. Und ich, die oft durch freche unbescheidne Näh' dich störte, will nun endlich lernen, mich im rechten Augenblick zurückzuziehen. Aegisth geht ins Haus. Eine kleine Stille. Dann Lärm drinnen. Sogleich erscheint Aegisth an einem kleinen Fenster rechts, reisst den Vorhang weg, schreit: Helft! Mörder! helft dem Herren! Mörder, Mörder! Sie morden mich! Er wird weggezerrt. Hört mich denn niemand? hört denn niemand? Noch einmal erscheint sein Gesicht am Fenster. Elektra reckt sich auf: Agamemnon hört dich! Aegisth wird fortgerissen: Weh mir! Elektra steht, furchtbar atmend, gegen das Haus gekehrt. Die Frauen kommen wild herausgelaufen, Chrysothemis unter ihnen. Wie besinnungslos laufen sie gegen die Hoftür. Dort machen sie plötzlich Halt, wenden sich. Chrysothemis Elektra! Schwester! komm mit uns! so komm mit uns! es ist der Bruder drin im Haus! es ist Orest, der es getan hat! Stimmengewirr, Getümmel draussen. im Hause Orest! Orest! Orest! Getümmel im Hause, Stimmengewirr, aus dem sich ab und zu die Rufe des Chors: "Orest" bestimmter abheben. Komm! Er steht im Vorsaal, alle sind um ihn, sie küssen seine Füsse, alle, die Aegisth im Herzen hassten, haben sich geworfen auf die andern, überall in allen Höfen liegen Tote, alle, die leben, sind mit Blut bespritzt und haben selbst Wunden, und doch strahlen alle, alle umarmen sich -- Draussen wachsender Lärm, die Frauen sind hinausgelaufen, Chrysothemis allein, von draussen fällt Licht herein. und jauchzen, tausend Fackeln sind angezündet. Hörst du nicht, so hörst du denn nicht? Elektra auf der Schwelle kauernd: Ob ich nicht höre? ob ich die Musik nicht höre? sie kommt doch aus mir heraus. Die Tausende, die Fackeln tragen und deren Tritte, deren uferlose Myriaden Tritte überall die Erde dumpf dröhnen machen, alle warten sie auf mich: ich weiss doch, dass sie alle warten, weil ich den Reigen führen muss, und ich kann nicht, der Ozean, der ungeheure, der zwanzigfache Ozean begräbt mir jedes Glied mit seiner Wucht, ich kann mich nicht heben! Chrysothemis fast schreiend vor Erregung: Hörst du nicht, sie tragen ihn, sie tragen ihn auf ihren Händen, allen sind die Gesichter ganz verwandelt, allen schimmern die Augen und die alten Wangen von Tränen! Alle weinen, hörst du's nicht? Ah! Sie läuft hinaus. Elektra hat sich erhoben. Sie schreitet von der Schwelle herunter. Sie hat den Kopf zurückgeworfen wie eine Mänade. Sie wirft die Kniee, sie reckt die Arme aus, es ist ein namenloser Tanz, in welchem sie nach vorwärts schreitet. Chrysothemis erscheint wieder an der Tür, hinter ihr Fackeln, Gedräng, Gesichter von Männern und Frauen: Elektra! Elektra bleibt stehen, sieht starr auf sie hin: Schweig, und tanze. Alle müssen herbei! hier schliesst euch an! Ich trag' die Last des Glückes, und ich tanze vor euch her. Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins: schweigen und tanzen! Sie tut noch einige Schritte des angespanntesten Triumphes und stürzt zusammen. Chrysothemis zu ihr. Elektra liegt starr. Chrysothemis läuft an die Tür des Hauses, schlägt daran: Orest! Orest! Stille. Vorhang.