ELEKTRA

Tragödie in einem Aufzug

Hugo von Hofmannsthal


DRAMATIS PERSONÆ:


Klytämnestra
Elektra                } Töchter
Chrysothemis        }
Aegisth
Orest
Der Pfleger des Orest
Die Vertraute
Die Schleppträgerin
Ein junger Diener
Ein alter Diener
Der Koch
Die Aufseherin
Die Dienerinnen


        ********        ********        ********        ********

Der innere Hof, begrenzt von der Rückseite des Palastes und niedrigen 
Gebäuden, in denen die Diener wohnen. Dienerinnen am Ziehbrunnen, links 
vorne. Aufseherinnen unter ihnen.

I. Magd ihr Wassergefäss aufhebend:
        Wo bleibt Elektra?
II. Magd
                        Ist doch ihre Stunde,
        die Stunde, wo sie um den Vater heult,
        dass alle Wände schallen.
Elektra kommt aus der schon dunkelnden Hausflur gelaufen. Alle drehen
sich nach ihr um. Elektra springt zurück wie ein Tier in seinen
Schlupfwinkel, den einen Arm vor dem Gesicht.
I. Magd
        Habt ihr gesehn, wie sie uns ansah?
II. Magd
                                                Giftig
        wie eine wilde Katze.
III. Magd
                                Neulich lag sie
        da und stöhnte --
I. Magd
                        Immer, wenn die Sonne tief steht,
        liegt sie und stöhnt.
III. Magd
                                Da gingen wir zuzweit
        und kamen ihr zu nah --
I. Magd
                                sie hält's nicht aus,
        wenn man sie ansieht.
III. Magd
                                Ja, wir kamen ihr
        zu nah. Da pfauchte sie wie eine katze
        uns an. "Fort, Fliegen!", schrie sie, "fort!"
IV. Magd
        "Schmeissfliegen, fort!"
III. Magd
                        "Sitzt nicht auf meinen Wunden!"
        und schlug nach uns mit einem Strohwisch.
IV. Magd
                                                "Fort,
        Schmeissfliegen, fort!"
III. Magd
                                "Ihr sollt das Süsse nicht
        abweiden von der Qual. Ihr sollt nicht schmatzen
        nach meiner Krämpfe Schaum."
IV. Magd
                                "Geht ab, verkriecht euch,"
        schrie sie uns nach. "Esst Fettes, und esst Süsses
        und kriecht zu Bett mit euren Männern" schrie sie,
        und die --
III. Magd
                ich war nicht faul --
IV. Magd
                                        die gab ihr Antwort!
III. Magd
        Ja:  "wenn du hungrig bist," gab ich zur Antwort,
        "so isst du auch," da sprang sie auf und schoss
        grässliche Blicke, reckte ihre Finger
        wie Krallen gegen uns und schrie: "Ich füttre,"
        schrie sie," mir einen Geier auf im Leib."
II. Magd
        Und du?
III. Magd
                "Drum hockst du immerfort," gab ich
        zurück, "wo Aasgeruch dich hält und scharrst
        nach einer alten Leiche!"
II. Magd
                                Und was sagte
        sie da?
III. Magd
                Sie heulte nur und warf sich
        in ihren Winkel.
Sie sind mit dem Schöpfen fertig
I. Magd
                        Dass die Königin
        solch einen Dämon frei in Haus und Hof
        sein Wesen treiben lässt.
II. Magd
                                Das eigne Kind!
I. Magd
        Wär' sie mein Kind, ich hielte, ich -- bei Gott! --
        sie unter Schloss und Riegel.
IV. Magd
                                        Sind sie dir
        nicht hart genug mit ihr? Setzt man ihr nicht
        den Napf mit Essen zu den Hunden?
                                        Leise Hast du
        den Herrn sie nie schlagen sehn?
V. Magd eine ganz junge, mit zitternder erregter Stimme:
                                                Ich will
        vor ihr mich niederwerfen und die Füsse
        ihr küssen. Ist sie nicht ein Königskind
        und leidet solche Schmach! Ich will die Füsse
        ihr salben und mit meinem Haar sie trocknen.
Die Aufseherin
        Hinein mit dir! Stösst sie
V. Magd
                        Es gibt nichts auf der Welt,
        das königlicher ist als sie. Sie liegt
        in Lumpen auf der Schwelle, aber niemand,
        schreiend niemand ist hier im Haus, der ihren Blick
        aushält!
Die Aufseherin
                Hinein!
Stösst sie in die offene niedrige Tür links vorne
V. Magd in die Tür geklemmt
                        Ihr alle seid nicht wert,
        die Luft zu atmen, die sie atmet! O,
        könnt' ich euch alle, euch, erhängt am Halse,
        in einer Scheuer Dunkel hängen sehen
        um dessen willen, was ihr an Elektra
        getan habt!
Die Aufseherin schlägt die Tür zu, stellt sich dann mit dem Rücken dagegen
        Hört ihr das? wir, an Elektra!
        die ihren Napf von unserm Tische stiess,
        als man mit uns sie essen hiess, die ausspie
        vor uns und Hündinnen uns nannte.
I. Magd
                                                Was?
        Sie sagte: keinen Hund kann man erniedern,
        wozu man uns hat abgerichtet: dass wir
        mit Wasser und mit immer frischem Wasser
        das ewige Blut des Mordes von der Diele
        abspülen --
III. Magd
                        und die Schmach, so sagte sie,
        die Schmach, die sich bei Tag und Nacht erneut,
        in Winkel fegen...
I. Magd
                        unser Leib, so schreit sie,
        starrt von dem Unrat, dem wir dienstbar sind!
Sie tragen ihre Gefässe ins Haus links
Die Aufseherin die ihnen die Tür aufgemacht hat
        Und wenn sie uns mit unsern Kindern sieht,
        so schreit sie: nichts kann so verflucht sein, nichts,
        als Kinder, die wir hündisch auf der Treppe
        im Blute glitschend, hier in diesem Hause
        empfangen und geboren haben. Sagt sie
        das oder nicht?
Die Dienerinnen schon von drinnen
                Ja! ja!
Die Eine von drinnen
        Sie schlagen mich!
Die Aufseherin geht hinein. Die Tür fällt zu
Aus dem Hause tritt Elektra. Sie ist allein mit den Flecken roten
Lichtes, die aus den Zweigen des Feigenbaumes schräg über den Boden
und auf die Mauern fallen, wie Blutflecke.
Elektra
        Allein! Weh, ganz allein. Der Vater fort,
        hinabgescheucht in seine kalten Klüfte.
gegen den Boden
        Wo bist du, Vater? Hast du nicht die Kraft,
        dein Angesicht herauf zu mir zu schleppen?
        Es ist die Stunde, unsre Stunde ist's!
        Die Stunde, wo sie dich geschlachtet haben,
        dein Weib und der mit ihr in einem Bette,
        in deinem königlichen Bette schläft.
        Sie schlugen dich im Bade tot, dein Blut
        rann über deine Augen, und das Bad
        dampfte von deinem Blut, dann nahm er dich,
        der Feige, bei den Schultern, zerrte dich
        hinaus aus dem Gemach, den Kopf voraus,
        die Beine schleifend hinterher: dein Auge,
        das starre, offne, sah herein ins Haus.
        So kommst du wieder, setzest Fuss vor Fuss
        und stehst auf einmal da, die beiden Augen
        weit offen, und ein königlicher Reif
        von Purpur ist um deine Stirn, der speist sich
        aus des Hauptes offner Wunde.
                                        Vater!
        Ich will dich sehn, lass mich heut nicht allein!
        Nur so wie gestern, wie ein Schatten, dort
        im Mauerwinkel zeig dich deinem Kind!
        Vater! dein Tag wird kommen! Von den Sternen
        stürzt alle Zeit herab, so wird das Blut
        aus hundert Kehlen stürzen auf dein Grab!
        So wie aus umgeworfnen Krügen wird's
        aus den gebunden Mördern fliessen, rings
        wie Marmorkrüge werden nackte Leiber
        von allen ihren Helfern sein, von Männern
        und Frauen, und in einem Schwall, in einem
        geschwollnen Bach wird ihres Lebens Leben
        aus ihnen stürzen -- und wir schlachten dir
        die Rosse, die im Hause sind, wir treiben
        sie vor dem Grab zusammen, und sie ahnen
        den Tod und wiehern in die Todesluft
        und sterben, und wir schlachten dir die Hunde,
        weil sie der Wurf sind und der Wurf des Wurfes
        von denen, die mit dir gejagt, von denen,
        die dir die Füsse leckten, denen du
        die Bissen hinwarfst, darum müss ihr Blut
        hinab, um dir zu Dienst zu sein, und wir,
        dein Blut, dein Sohn Orest und deine Töchter,
        wir drei, wenn alles dies vollbracht und Purpur-
        gezelte aufgerichtet sind, vom Dunst
        des Blutes, den die Sonne an sich zieht,
        dann tanzen wir, dein Blut, rings um dein Grab:
        und über Leichen hin werd' ich das Knie
        hochheben Schritt für Schritt, und die mich werden
        so tanzen sehn, ja, die meinen Schatten
        von weitem nur so werden tanzen sehn,
        die werden sagen: einem grossen König
        wird hier ein grosses Prunkfest angestellt
        von seinem Fleisch und Blut, und glücklich ist,
        wer Kinder hat, die um sein hohes Grab
        so königliche Siegestänze tanzen!
Chrysothemis die jüngere Schwester, steht in der Haustür. Sie sieht
angstvoll auf Elektra, ruft leise:
                                                Elektra!
Elektra fährt zusammen, wie der Nachtwandler, der seinen Namen rufen
hört. Sie taumelt. Ihre Augen sehen um sich, als fänden sie sich nicht
gleich zurecht. Ihr Gesicht verzerrt sich, wie sie die ängstliche Miene
der Schwester ansieht. Chrysothemis steht an die Türe gedrückt
Elektra
        Ah, das Gesicht!
Chrysothemis
                        Ist mein Gesicht dir so verhasst?
Elektra
        Was willst du? Rede, sprich, ergiesse dich,
        dann geh und lass mich!
Chrysothemis hebt wie abwehrend die Hände.
Elektra
                                Was hebst du die Hände?
        So hob der Vater seine beiden Hände,
        da fuhr das Beil hinab und spaltete
        sein Fleisch. Was willst du, Tochter meiner Mutter?
Chrysothemis
        Sie haben etwas Fürchterlichtes vor.
Elektra
        Die beiden Weiber?
Chrysothemis
                        Wer?
Elektra
                                Nun, meine Mutter
        und jenes andre Weib, die Memme, ei,
        Aegisth, der tapfre Meuchelmörder, er,
        der Heldentaten nur im Bett vollführt.
        Was haben sie denn vor?
Chrysothemis
                                Sie werfen dich
        in einen Turm, wo du von Sonn' und Mond
        das Licht nicht sehen wirst.
Elektra lacht.
Chrysothemis
                                        Sie tun's, ich weiss es,
        ich hab's gehört.
Elektra
                        Mir ist, ich hätt's gehört.
        War's nicht bei Tisch, so bei der letzten Schüssel?
        Da hebt er gern die Stimm' und prahlt, ich wette,
        es nützt seiner Verdauung.
Chrysothemis
                                        Nicht bei Tisch.
        Nicht um zu prahlen. Er und sie allein
        bereden sie's.
Elektra
                        Allein?  Wie hast dann du
        es hören können?
Chrysothemis
                                An der Tür, Elektra.
Elektra
        Mach keine Türen auf in diesem Haus!
        Gepresster Atem, pfui! und Röcheln von Erwürgten,
        nichts andres gibt's in diesen Kammern. Lass
        die Tür, dahinter du ein Stöhnen hörst:
        sie bringen ja nicht immer einen um,
        zuweilen sind sie auch allein zusammen!
        Mach keine Türen auf! Schleich nicht herum.
        Sitz an der Erd' wie ich und wünsch den Tod
        und das Gericht herbei auf sie und ihn.
Chrysothemis
        Ich kann nicht sitzen und ins Dunkel starren
        wie du. Ich hab's wie Feuer in der Brust,
        es treibt mich immerfort herum im Haus,
        in keiner Kammer leidet's mich, ich muss
        von einer Schwelle auf die andre, ach!
        treppauf, treppab, mir ist, als rief' es mich,
        und komm ich hin, so stiert ein leeres Zimmer
        mich an. Ich habe soche Angst, mir zittern
        die Knie bei Tag und Nacht, mir ist die Kehle
        wie zugeschnürt, ich kann nicht einmal weinen,
        wie Stein ist Alles! Schwester, hab Erbarmen!
Elektra
        Mit wem?
Chrysothemis
                Du bist es, die mit Eisenklammern
        mich an den Boden schmiedet. Wärst nicht du,
        sie liessen uns hinaus. Wär nicht dein Hass,
        dein schlafloses, unbändiges Gemüt,
        vor dem sie zittern, ah, so liessen sie
        uns ja heraus aus diesem Kerker, Schwester!
        Ich will heraus! Ich will nicht jede Nacht
        bis an den Tod hier schlafen! Eh ich sterbe,
        will ich auch leben! Kinder will ich haben,
        bevor mein Leib verwelkt, und wärs ein Bauer,
        dem sie mich geben, Kinder will ich ihm
        gebären und mit meinem Leib sie wärmen
        in kalten Nächten, wenn der Sturm die Hütte
        zusammenschüttelt! Aber dies ertrag' ich
        nicht länger, hier zu lungern bei den Knechten
        und doch nicht ihresgleichen, eingesperrt
        mit meiner Todesangst bei Tag und Nacht!
        Hörst du mich an? Sprich zu mir, Schwester!
Elektra
                                                Armes
        Geschöpf!
Chrysothemis
                Hab Mitleid mit der selber und mit mir!
        Wem frommt denn diese Qual? Dem Vater etwa?
        Der Vater, der ist tot. Der Bruder kommt nicht heim.
        Du siehst ja doch, dass er nicht kommt.
                                        Mit Messern
        gräbt Tag um Tag in dein und mein Gesicht
        sein Mal und draussen geht die Sonne auf
        und ab, und Frauen, die ich schlank gekannt hab',
        sind schwer von Segen, mühen sich zum Brunnen
        und heben kaum den Eimer, und auf einmal
        sind sie entbunden ihrer Last und kommen
        zum Brunnen wieder und aus ihnen selber
        rinnt süsser Trank und säugend hängt ein Leben
        an ihnen, und die Kinder werden gross --
        und immer sitzen wir hier auf der Stange
        wie angehängte Vögel, wenden links
        und rechts den Kopf und niemand kommt, kein Bruder,
        kein Bote von dem Bruder, nicht der Bote
        von einem Boten, nichts! Viel lieber tot,
        als leben und nicht leben.  Nein, ich bin
        ein Weib und will ein Weiberschicksal.
Elektra
                                                Pfui,
        die's denkt, pfui, die's mit Namen nennt! Die Höhle
        zu sein, drin nach dem Mord dem Mörder wohl ist;
        das Tier zu spielen, das dem schlimmern Tier
        Ergetzung bietet. Ah, mit einem schläft sie,
        presst ihre Brüste ihm auf beide Augen
        und winkt dem zweiten, der mit Netz und Beil
        hervorkriecht hinter'm Bett.
Chrysothemis
                                        Du bist entsetzlich!
Elektra
        Warum entsetzlich? Bist du solch ein Weib?
        Du willst's erst werden.
Chrysothemis
                                Kannst du nicht vergessen?
        Mein Kopf ist immer wüst. Ich kann von heut
        auf morgen nichts behalten. Manchmal lieg' ich
        so da, dann bin ich was ich früher war,
        und kann's nicht fassen, dass ich nicht mehr jung bin.
        Wo ist denn alles hingekommen, wo denn?
        Es ist ja nicht ein Wasser, das vorbeirinnt,
        es ist ja nicht ein Garn, das von der Spule
        herunter fliegt und fliegt, ich bin's ja, ich!
        Ich möchte beten, dass ein Gott ein Licht
        mir in der Brust antstecke, dass ich mich
        in mir kann wiederfinden! Wär ich fort,
        wie schnell vergäss' ich alle bösen Träume --
Elektra
        Vergessen? Was! bin ich ein Tier? vergessen?
        Das Vieh schläft ein, von halbgefressner Beute
        die Lefze noch behängt, das Vieh vergisst sich
        und fängt zu käuen an, indes der Tod
        schon würgend auf ihm sitzt, das Vieh vergisst,
        was aus dem Leib ihm kroch, und stillt den Hunger
        am eignen Kind -- ich bin kein Vieh, ich kann nicht
        vergessen!
Chrysothemis
                        O, muss meine Seele immer
        von dieser Speise essen, die ihr widert,
        die ihr so widert! die zu reichen nur
        sie schaudert, die sie nie und nimmer hätte
        anrühren sollen, nie und nimmer wissen,
        dass es so etwas Grauenvolles gibt,
        nie wissen! nie mit Augen seh'n! nie hören!
        Das Fürchterliche ist nicht für das Herz
        des Menschen! Wenn es kommt, wenn es sich anzeigt,
        so muss man flüchten aus dem Häusern, flüchten
        in die Weingärten, flüchte auf die Berge!
        und steigt es auf die Berge, muss man wieder
        herab und sich verkriechen in den Häusern:
        nie darf man bei ihm bleiben, nie mit ihm
        in einem Hause sein! Ich will hinaus!
        Ich will empfangen und gebären Kinder,
        die nichts von diesem wissen, meinen Leib
        wasch' ich in jedem Wasser, alles wasch' ich
        mir ab, das Hohle meiner beiden Augen
        wasch' ich mir rein -- sie sollen sich nicht schrecken,
        wenn sie der Mutter in die Augen schau'n!
Elektra höhnisch:
        Wenn sie der Mutter in die Augen schau'n!
        Und wie schaust du dem Vater in die Augen?
Chrysothemis
        Hör auf!
Elektra
                Ich wünsch' dir, wenn du Kinder hast,
        sie mögen an dir tun, wie du am Vater!
Chrysothemis weint auf.
Elektra
        Was heulst du? Fort, hinein! Dort ist dein Platz.
        Es geht ein Lärm los. Stellen sie vielleicht
        für dich die Hochzeit an? Ich hör sie laufen.
        Das ganze Haus ist auf. Sie kreissen oder
        sie morden. Wenn es an den Leichen mangelt,
        drauf zu schlafen, müssen sie doch morden!
Chrysothemis
        Hör auf. Dies alles ist vorbei. Hör auf!
Elektra
        Vorbei? Da drinnen geht's auf's neue los!
        Meinst du, ich kenn' den Laut nicht, wie sie Leichen
        herab die Treppe schleifen, wie sie flüstern
        und Tücher voller Blut auswinden.
Chrysothemis
                                        Schwester!
        geh fort von hier.
Elektra
                        Diesmal will ich dabei sein!
        Nicht so wie damals. Diesmal bin ich stark.
        Ich werfe mich auf sie, ich reiss' das Beil
        aus ihrer Hand, ich schwing' es über ihr --
Chrysothemis
        Geh fort, verkriech dich! dass sie dich nicht sieht.
        Stell dich ihr heut' nicht in den Weg: sie schickt
        den Tod aus jedem Blick. Sie hat geträumt.
Der Lärm von vielen Kommenden drinnen, näher
        Geh fort von hier. Sie kommen durch die Gänge.
        Sie kommen hier vorbei. Sie hat geträumt:
        ich weiss nicht, was, ich hab' es von den Mägden
        gehört, ich weiss nicht, ob es wahr ist, Schwester:
        sie sagen, dass sie von Orest geträumt hat,
        dass sie geschrien hat aus ihrem Schlaf,
        wie einer schreit, den man erwürgt.
Elektra
                                                Ich! ich!
        ich hab' ihn ihr geschickt. Aus meiner Brust
        hab' ich den Traum auf sie geschickt! Ich liege
        und hör die Schritte dessen, der sie sucht.
        Ich hör' ihn durch die Zimmer gehn, ich hör' ihn
        den Vorhang von dem Bette heben: schreiend
        entspringt sie, aber er ist hinterdrein:
        hinab die Treppen durch Gewölbe hin,
        Gewölbe und Gewölbe geht die Jagd.
        Es idt viel finsterer als Nacht, viel stiller
        und finstrer als im Grab, sie keucht und taumelt
        im Dunkel hin, doch er ist hinterdrein:
        die Fackel schwingt er links und rechts das Beil.
        Und ich bin wie ein Hund an ihrer Ferse:
        will sie in eine Höhle, spring' ich sie
        von seitwärts an, so treiben wir sie fort,
        bis eine Mauer alles sperrt, und dort
        im tiefsten Dunkel, doch ich seh' ihn wohl,
        ein Schatten, und doch Glieder und das Weisse
        von einem Auge doch, da sitzt der Vater:
        er achtet's nicht und doch muss es geschehn:
        vor seinen Füssen drücken wir sie hin,
        da fällt das Beil!
Fackeln und Gestalten erfüllen den Gang links von der Tür.
Chrysothemis
        Sie kommen schon. Sie treibt die Mägde alle
        mit Fackeln vor sich her. Sie schleppen Tiere
        und Opfermesser. Schwester, wenn sie zittert,
        ist sie am schrecklichsten, geh ihr nur heut,
        nur diese Stunde geh aus ihrem Weg!
Elektra
        Ich habe eine Lust, mit meiner Mutter
        zu reden wie noch nie!
An den grell erleuchteten Fenstern klirrt und schlürft ein hastiger
Zug vorüber: es ist ein Zerren, ein Schleppen von Tieren, ein
gedämpftes Keifen, ein schnell ersticktes Aufschreien, das Niedersausen einer Peitsche,
ein Aufraffen, ein Weitertaumeln.
Chrysothemis
                                Ich will's nicht hören.
Stürzt ab durch die Hoftür
In dem breiten Fenster erscheint die Gestalt der Klytämnestra.
Ihr fahles, gedunsenes Gesicht, in dem grellen Licht der Fackeln,
erscheint noch bleicher über dem scharlachroten Gewand. Sie stützt
sich auf eine Vertraute, die dunkelviolett gekleidet ist, und auf
einen elfenbeinernen, mit Edelsteinen geschmückten Stab. Eine gelbe
Gestalt, mit zurückgekämmtem schwarzem Haar, einer Egypterin ähnlich,
mit glattem Gesicht einer aufgerichteten Schlange gleichend, trägt
ihr die Schleppe. Die Königin ist über und über bedeckt mit Edelsteinen
und Talismanen. Ihre Arme sind voll Reifen, ihre Finger starren von
Ringen. Die Lider ihrer Augen scheinen übermässig gross und es scheint
ihr eine furchtbare Anstrengung zu kosten, sie offen zu halten.
Elektra steht starr aufgerichtet, das Gesicht diesem Fenster zugewandt.
Klytämnestra öffnet jäh die Augen, zitternd vor Zorn tritt sie ans
Fenster und zeigt mit dem Stock auf Elektra.
Klytämnestra am Fenster:
        Was willst du? Seht doch, dort! so seht doch das!
        Wie es sich aufbäumt mit geblähtem Hals
        und nach mir züngelt! und das lass ich frei
        in meinem Hause laufen!
        Wenn sie mich mit den Blicken töten könnte!
        O Götter, warum liegt ihr so auf mir?
        Warum verwüstet ihr mich so? warum
        muss meine Kraft in mir gelähmt sein, warum
        bin ich lebendigen Leibes wie ein wüstes
        Gefild und diese Nessel wächst aus mir
        heraus, und ich hab' nicht die Kraft zu jäten!
        Warum geschieht mir das, ihr ewigen Götter?
Elektra
        Die Götter! bist doch selber eine Göttin!
        bist, was sie sind.
Klytämnestra
                                Habt ihr gehört? habt ihr
        verstanden, was sie redet?
Die Vertraute
                                        Dass auch du
        vom Blut der Götter bist.
Die Schleppträgerin zischend:
                                Sie meint es tückisch.
Klytämnestra indem ihre schweren Lider zufallen:
        Mir klingt das so bekannt. Und nur als hätt ich's
        vergessen, lang und lang. Sie kennt mich gut.
        Doch weiss man nie, was sie im Schilde führt.
Die Vertraute und die Schleppträgerin flüstern miteinander
Elektra
        Du bist nicht mehr du selber. Das Gewürm
        hängt immerfort um dich. Was sie ins Ohr
        dir zischen, trennt dein Denken fort und fort
        entzwei, so gehst du hin im Taumel, immer
        bist du als wie im Traum.
Klytämnestra
                                Ich will hinunter.
        Lasst, ich will mit ihr reden.
                                                Sie ist heute
        nicht widerlich. Sie redet wie ein Arzt.
        Die Stunden haben alles in der Hand.
        Ein jedes Ding kann ein erträgliches
        Gesicht uns zeigen nach dem grässlichen.
Sie geht vom Fenster weg und erscheint in der Tür, die Vertraute an
ihrer Seite, die Schleppträgerin hinter ihr, Fackeln hinter ihnen
Klytämnestra von der Türschwelle aus:
        Warum nennst du mich eine Göttin? Sprichst du
        aus Bosheit so? Nimm dich in acht. Es könnte
        der letzte Tag sein, dass du dieses Licht
        da siehst und diese freie Luft einatmest.
Elektra
        Wahrhaftig, wenn du keine Göttin bist,
        wo sind dann Götter! Ich weiss auf der Welt
        nichts, was mich schaudern macht, als wie zu denken,
        dass dieser Leib das dunkle Tor, aus welchem
        ich an das Licht der Welt gekrochen bin,
        Auf diesem Schoss bin ich gelegen, nackt?
        Zu diesen Brüsten hast du mich gehoben?
        So bin ich ja aus meines Vaters Grab
        herausgekrochen, hab' gespielt in Windeln
        auf meines Vaters Richtstatt! Du bist ja
        wie ein Koloss, aus dessen ehernen Händen
        ich nie entsprungen bin. Du hast mich ja
        am Zaum. Du bindest mich, an was du willst.
        Du hast mir ausgespien, wie das Meer,
        ein Leben, einen Vater, und Geschwister:
        und hast hinabgeschlungen, wie das Meer,
        ein Leben, einen Vater, und Geschwister.
        Ich weiss nicht, wie ich jemals sterben sollte --
        als daran, dass du stürbest.
Klytämnestra
        So ehrst du mich? Ist etwas noch von Scheu
        in dir?
Elektra
                Viel, viel! Mir geht zu Herzen, was
        auch dir zu Herzen geht. Siehst du, mich kränkt
        zu sehen, dass Aegisth, dein Mann, die alten Mäntel
        von meinem, wie du weisst, verstorbnen Vater,
        dem frühern König, trägt. Es kränkt mich, wahrhaft:
        ich finde, dass sie ihm nicht stehn. Ich finde,
        sie sind ihm um die Brust zu weit.
Die Vertraute
                                        Sie redet
        nicht, wie sie's meint.
Die Schleppträgerin
                                Ein jedes Wort ist Falschheit.
Klytämnestra (zornig):
        Ich will nichts hören. Was aus euch herauskommt,
        ist nur der Atem des Aegisth. Ich will nicht
        an allem nörgeln. Wenn sie zu mir redet,
        was mich zu hören freut, so will ich horchen
        auf was sie redet. Was die Wahrheit ist,
        das bringt kein Mensch heraus. Niemand auf Erden
        weiss über irgend ein verborgnes Ding
        die Wahrheit. Gibt's nicht welche in den Kerkern.
        die sagen, dass ich eine Mörderin
        und dass Aegisth ein Meuchelmörder ist?
        Und wenn ich nachts euch wecke, redet ihr
        nicht jede etwas andres? Schreist nicht du,
        dass meine Augenlider angeschwollen
        und meine Leber krank ist, und dass alles
        nur von der kranken Leber kommt, und winselst
        nicht du ins andre Ohr, dass du Dämonen
        gesehen hast mit langen spitzen Schnäbeln,
        die mir das Blut aussagen? zeigst du nicht
        die Spuren mir an meinem Fleisch, und folg' ich
        dir nicht und schlachte, schlachte, schlachte Opfer
        und Opfer? Zerrt ihr mich mit euren Reden
        und Gegenreden nicht zu Tod? Ich will nicht
        mehr hören: dies ist wahr und das ist Lüge.
        Wenn einer etwas Angenehmes sagt,
        und wär' es meine Tochter, wär es die da,
        will ich von meiner Seele alle Hüllen
        ablösen und das Fächeln sanfter Luft,
        von wo es kommen mag, einlassen, wie
        die Kranken tun, wenn sie der kühlen Luft,
        am Teiche sitzend, abends ihre Beulen
        und all ihr Eiterndes der kühlen Luft
        preisgeben abends, und nichts andres denken,
        als Linderung zu schaffen. So will ich
        einmal anfangen, selbst für mich zu sorgen.
        Lasst mich allein mit ihr.
Ungeduldig weist sie mit dem Stock die Vertraute und die Schleppträgerin 
ins Haus. Diese verschwinden zögernd in der Tür. Auch die Fackeln 
verschwinden und nur aus dem Innern des Hauses fällt ein schwacher
Schein durch den Flur auf den Hof und streift hie und da die Gestalten
der beiden Frauen
Klytämnestra nach einer Pause:
        Ich habe keine guten Nächte. Weisst du
        kein Mittel gegen Träume?
Elektra näher rückend:
                                Träumst du, Mutter?
Klytämnestra
        Hast du nicht andre Worte, mich zu trösten?
        Lass deine Zunge los. Ich träume, ja.
        Wer älter wird, der träumt. Allein es lässt sich
        vertreiben. Warum stehst du so im Dunkel?
        Man muss sich nur die Kräfte dienstbar machen,
        die irgendwo verstreut sind. Es gibt Bräuche.
        Es muss für alles richtige Bräuche geben.
        Wie man ein Wort und einen Satz ausspricht,
        darauf kommt vieles an. Auch auf die Stunde.
        Und ob man satt ist, oder nüchtern. Mancher
        kam um, weil er ins Bad gestiegen ist
        zur unrichtigen Stunde.
Elektra
                                Denkst du da
        an meinen Vater?
Klytämnestra
                        Darum bin ich so
        behängt mit Steinen. Denn es wohnt in jedem
        ganz sicher eine Kraft. Man muss nur wissen,
        wie man sie nützen kann. Wenn du nur wolltest,
        du könntest etwas sagen, das mir nützt.
Elektra
        Ich, Mutter, ich?
Klytämnestra
                        Ja, du! denn du bist klug.
        In deinem Kopf ist alles stark. Du redest
        von alten Dingen so, wie wenn sie gestern
        geschehen wären. Aberr ich bin morsch.
        Ich denke, aber alles türmt sich mir
        eins übers andre. Und ich tu' den Mund auf,
        da schreit Aegisth, und was er schreit, das ist mir
        verhasst, aufbäumen will ich mich und stärker
        als seine Worte sein -- und finde nichts.
        Ich finde nichts! ich weiss auf einmal nicht,
        ob er das heut gesagt hat, was vor Wut
        mich zittern macht, ob heute oder einmal
        vor langer Zeit; dann schwindelt's mich, ich weiss
        auf einmal nicht mehr, wer ich bin, und das ist
        das Grauen, das hisst mit lebendigem Leib
        ins Chaos sinken, und Aegisth! Aegisth
        verhöhnt mich, und ich finde nichts, ich finde
        die fürchterlichen Dinge nicht, vor denen
        er schweigen müsste und bleich wie ich selber
        ins Feuer starren. Aber du hast Worte.
        Du könntest vieles sagen, was mir nützt.
        Wenn auch ein Wort nichts weiter ist! Was ist denn
        ein Hauch! und doch kriecht zwischen Nacht und Tag,
        wenn ich mit offnen Augen lieg', ein Etwas
        hin über mich, es ist kein Wort, es ist
        kein Schmerz, es drückt mich nicht, es würgt mich nicht,
        es lässt mich liegen, wie ich bin, und da
        an meiner Seite liegt Aegisth und dort,
        dort ist der Vorhang; alles sieht mich an,
        als wär's von Ewigkeit zu Ewigkeit:
        nichts ist es, nicht einmal ein Alp, und dennoch
        es ist so fürchterlich, dass meine Seele
        sich wünscht, erhängt zu sein, und jedes Glied
        an mir lechzt nach dem Tod, und dabei leb' ich
        und bin nicht einmal krank; du siehst mich doch:
        seh' ich wie eine Kranke? Kann man denn
        vergehen, lebend, wie ein faules Aas?
        kann man zerfallen, wenn man garnicht krank ist?
        zerfallen wachen Sinnes, wie ein Kleid,
        zefressen von den Motten? Und dann schlaf' ich
        und träume, träume! dass mir in den Knochen
        das Mark sich löst, und taumle wieder auf,
        und nicht der zehnte Teil der Wasseruhr
        ist abgelaufen, und was unter'm Vorhang
        hereingrinst, ist noch die Fackel vor der Tür,
        die grässlich zuckt wie ein Lebendiges
        und meinen Schlaf belauert.
        Ich weiss nicht, wer die sind, die mir das antun,
        und ob sie droben oder drunten wo
        zu Hause sind -- wenn ich dich stehen sehe,
        wie jetzt, so mein' ich, du musst mit im Spiel sein.
        Allein wer bist denn du? Du weisst nicht einmal
        ein Wort zu reden, wenn man auf dich hört.
        Wem könnt' es so viel nützen oder schaden,
        ob du lebst oder nicht? Warum siehst du
        so starr auf mich? Ich will nicht, dass du mich
        so ansiehst. Aber diese Träume müssen
        ein Ende haben. Wer sie immer schickt:
        ein jeder Dämon lässt von uns, sobald
        das rechte Blut geflossen ist.
Elektra
                                        Ein jeder!
Klytämnestra
        Und müsst' ich jedes Tier, das kriecht und fliegt,
        zur Ader lassen und im Dampf des Bluts
        aufsteh'n und schlafen gehen wie die Völker
        der letzten Thule in blutrotem Nebel:
        ich will nicht länger träumen.
Elektra
                                        Wenn das rechte
        Blutopfer unter'm Beile fällt, dann träumst du
        nicht länger.
Klytämnestra näher zu ihr tretend:
                        Also wüsstest du, mit welchem
        geweihten Tier --
Elektra
                        Mit einem ungeweihten!
Klytämnestra
        Das drin gebunden liegt?
Elektra
                                Nein! es läuft frei.
Klytämnestra begierig:
        Und was für Bräuche?
Elektra
                                Wunderbare Bräuche,
        und sehr genau zu üben.
Klytämnestra
                                Rede doch!
Elektra
        Kannst du mich nicht erraten?
Klytämnestra
                                        Nein, darum frag' ich.
        Den Namen sag des Opfertiers.
Elektra
                                        Ein Weib.
Klytämnestra gierig:
        Von meinen Dienerinnen eine sag!
        ein Kind? ein jungfäuliches Weib? ein Weib,
        das schon erkannt vom Manne?
Elektra
                                        Ja! erkannt!
        das ist's!
Klytämnestra
                Und wie das Opfer? und welche Stunde,
        und wo?
Elektra
                An jedem Ort, zu jeder Stunde
        des Tages und der Nacht.
Klytämnestra
                                Die Bräuche sag!
        Wie brächt' ich's dar? ich selber muss --
Elektra
                                                Nein. Diesmal
        gehst du nicht auf die Jagd mit Netz und Beil.
Klytämnestra
        Wer denn? wer bringt es dar?
Elektra
                                        Ein Mann.
Klytämnestra
                                                Aegisth?
Elektra lacht:
        Ich sagte doch: ein Mann!
Klytämnestra
                                Wer? gib mir Antwort.
        Vom Hause jemand? oder muss ein Fremder
        herbei?
Elektra zu Boden stierend, wie abwesend:
                Ja, ja, ein Fremder. Aber freilich
        ist er vom Haus.
Klytämnestra
                        Gib mir nicht Rätsel auf.
        Elektra, hör mich an. Ich freue mich,
        dass ich dich heut einmal nicht störrisch finde.
        Wenn Eltern hart sind, ist es stets das Kind,
        das sie zur Härte zwingt. Kein strenges Wort
        ist ganz unwiderruflich und die Mutter,
        wenn sie schlecht schläft, denkt lieber sich das Kind
        im Ehebett als an der Kette liegen.
Elektra vor sich:
        Da geht's dem Kinde umgekehrt: das dächte
        die Mutter lieber tot als in dem Bette.
Klytämnestra
        Was murmelst du? Ich sage, dass kein Ding
        unwiderruflich ist. Geht denn nicht alles
        vor unsern Augen über und verwandelt
        sich wie ein Nebel? Und wir selber, wir!
        und unsre Taten! Taten! Wir und Taten!
        Was das für Worte sind. Bin ich denn noch,
        die es getan? Und wenn! getan, getan!
        Getan! was wirfst du mir da für ein Wort
        in meine Zähne! Da stand er, von dem
        du immer redest, da stand er und da
        stand ich und dort Aegisth und aus den Augen
        die Blicke trafen sich: da war es doch
        noch nicht geschehn! und dann veränderte
        sich deines Vaters Blick im Sterben so
        langsam und grässlich, aber immer noch
        in meinem hängend -- und da war's geschehn:
        dazwischen ist kein Raum! Erst war's vorher,
        dann war's vorbei -- dazwischen hab' ich nichts
        getan.
Elektra
                Nein, die dazwischen liegt, die Arbeit,
        die tat das Beil allein.
Klytämnestra
                                Wie du die Worte
        hineinbringst.
Elektra
        Nicht so tüchtig, noch so flink
        wie du Axthieb auf Axthieb.
Klytämnestra
                                        Davon will ich
        nichts hören. Schweig. Wenn mir dein Vater heute
        entgegenkäme -- so wie ich mit dir
        da rede, könnt' ich mit ihm reden. Zwar
        kann sein, mich schauderte, doch kann auch sein,
        ich könnte zärtlich zu ihm sein und weinen,
        wie wenn zwei alte Freunde sich begegnen.
Elektra vor sich:
        Grässlich, sie redet von dem Mord als wär's
        ein Zank vor'm Nachtmahl.
Klytämnestra
                                Sag du deiner Schwester,
        sie soll nicht so wie ein verschreckter Hund
        vor mir ins Dunkel flüchten. Heiss sie, freundlich
        wie sich's geziemt, mich grU'ssen, und gelassen
        mir Rede stehn. Dann weiss ich wahrlich nicht,
        was mich verhindern könnte, dich und sie
        vor Winter zu vermählen.
Elektra
                                Und der Bruder?
        Lässt du den Bruder nicht nach Hause, Mutter?
Klytämnestra
        Von ihm zu reden hab' ich dir verboten.
Elektra
        So hast du Furcht vor ihm?
Klytämnestra
                                Wer sagt das?
Elektra
                                                Mutter,
        du zitterst ja!
Klytämnestra
                        Wer fürchtet sich
        vor einem Schwachsinnigen.
Elektra
                                Wie?
Klytämnestra
                                        Es heisst,
        er stammelt, liegt im Hofe bei den Hunden
        und weiss nicht Mensch und Tier zu unterscheiden.
Elektra
        Das Kind war ganz gesund.
Klytämnestra
                                Es heisst, sie gaben
        ihm eine schlechte Wohnung und die Tiere
        des Hofes zur Gesellschaft.
Elektra
                                Ah!
Klytämnestra mit gesenkten Augenlidern:
                                        Ich schickte
        viel Gold und wieder Gold, sie sollten ihn
        gut halten als ein Königskind.
Elektra
                                        Du lügst!
        Du schicktest Gold, damit sie ihn erwürgen.
Klytämnestra
        Wer sagt dir das?
Elektra
                        Ich seh's in deinen Augen.
        Allein an deinem Zittern seh' ich auch,
        dass er noch lebt. Dass du bei Tag und Nacht
        an nichts denkst als an ihn. Dass dir das Herz
        verdorrt vor Grauen, weil du weisst: er kommt.
Klytämnestra
        Lüg nicht. Was kümmert mich, wer ausser Haus ist.
        Ich lebe hier und bin die Herrin. Diener
        hab ich genug, die Tore zu bewachen,
        und wenn ich will, lass ich bei Tag und Nacht
        vor meiner Kammer drei Bewaffnete
        mit offenen Augen sitzen. Was du redest,
        das hör' ich nicht einmal. Ich weiss auch nicht,
        wer dieser ist, von dem du redest. Sehen
        werd' ich ihn nie: was kümmert's mich, zu wissen,
        ob er am Leben oder nicht. Ganz einfach,
        ich bin es satt, von ihm zu träumen. Träume
        sind ungesund, sie zehren an den Kräften,
        und ich will leben und die Herrin sein.
        Ich will nicht solche Anwandlungen haben,
        mich herzustellen wie ein Hökerweib
        und dir von meinen Nächten zu erzählen.
        Ich bin so gut wie krank, und Kranke schwatzen
        von ihrem Übel, das ist alles. Aber
        ich will nicht länger krank sein. Und aus dir
Sie hebt den Stock drohend gegen Elektra
        bring' ich so oder so das rechte Wort
        schon an den Tag. Du hast dich schon verraten,
        dass du das rechte Opfer weisst und auch
        die Bräuche, die mir nützen. Sagst du's nicht
        im Freien, wirst du's an der Kette sagen.
        Sagst du's nicht satt, so sagst du's hungernd. Träume
        sind etwas, das man los wird. Wer dran leidet
        und nicht das Mittel findet, sich zu heilen,
        ist nur ein Narr. Ich finde mir heraus,
        wer bluten muss, damit ich wieder schlafe.
Elektra mit einem Sprung aus dem Dunkel auf sie zu, immer näher
an ihr, immer furchtbarer wachsend:
        Was bluten muss? Dein eigenes Genick,
        wenn dich der Jäger abgefangen hat!
        Er fängt dich ab: doch nur im Lauf! Wer schlachtet
        ein Opfertier im Schlaf! Er jagt dich auf,
        er treibt dich durch das Haus! willst du nach rechts,
        da steht das Bett! nach links, da schäumt das Bad
        wie Blut! das Dunkel und die Fackeln werfen
        schwarzrote Todesnetze über dich --
Klytämnestra, von sprachlosem Grauen geschüttelt, will ins Haus.
Elektra zerrt sie am Gewand nach vorn. Klytämnestra weicht gegen die
Mauer zurück.  Ihre Augen sind weit aufgerissen, der Stock entfällt
ihren zitternden Händen
        Du möchtest schreien, doch die Luft erwürgt
        den ungebornen Schrei und lässt ihn lautlos
        zu Boden fallen, wie von Sinnen hälst du
        den Nacken hin, fühlst schon die Schärfe zucken
        bis in den Sitz des Lebens, doch er hält
        den Schlag zurück: die Bräuche sind noch nicht erfüllt.
        Er führt dich an den Flechten deiner Haare,
        und alles schweigt, du hörst dein eignes Herz
        an deinen Rippen schlagen: diese Zeit
        -- sie dehnt sich vor dir wie ein finstrer Schlund
        von Jahren -- diese Zeit ist dir gegeben
        zu ahnen, wie es Scheiternden zumut ist,
        wenn ihr vergebliches Geschrei die Schwärze
        der Wolken und des Tods zerfrisst, die Zeit
        ist dir gegeben, alle zu beneiden,
        die angeschmiedet sind an Kerkermauern,
        die auf dem Grund von Brunnen nach dem Tod
        als wie nach der Erlösung schrei'n -- denn du,
        du liegst in deinem Selbst so eingekerkert,
        als wär's der glühende Bauch von einem Tier
        von Erz -- und so wie jetzt kannst du nicht schreien!
        Und ich steh' neben dir: du kannst den Blick
        nicht von mir wenden, immer krampft es dich,
        dass du von meinem schweigenden Gesicht
        ein Wort ablesen willst, du rollst die Augen,
        willst irgend etwas denken, willst die Götter
        heruntergrinsen aus dem Nachtgewölk:
        die Götter sind beim Nachtmahl! so wie damals,
        als du den Vater würgtest, sitzen sie
        beim Nachtmahl und sind taub für jedes Röcheln!
        Nur ein halbtoller Gott, das Lachen, taumelt
        zur Tür herein: er glabt, du triebest Scherze
        zur Schäferstunde mit Aegisth, allein
        sogleich bemerkt er seinen Irrtum, lacht
        lautgellend auf und ist im Nu davon.
        Da hast auch du genug. Die Galle träufelt
        dir bitter auf das Herz, verendend willst du
        dich auf ein Wort besinnen, irgend eines
        noch von dir geben, nur ein Wort, anstatt
        der blut'gen Träne, die dem Tier sogar
        im Sterben nicht versagt ist: da steh' ich
        vor dir, und nun liest du mit starrem Aug'
        das ungeheure Wort, das mir in mein
        Gesicht geschrieben ist: denn mein Gesicht
        ist aus des Vaters und aus deinen Zügen
        gemischt, und da hab' ich mit meinem stummen
        Dastehn dein letztes Wort zunicht' gemacht,
        erhängt ist dir die Seele in der selbst-
        gedrehten Schlinge, sausend fällt das Beil,
        und ich steh' da und seh' dich endlich sterben!
        Dann träumst du nimmermehr, dann brauche ich
        nicht mehr zu träumen, und wer dann noch lebt,
        der jauchzt und kann sich seines Lebens freuen!
Sie stehen einander, Elektra in wildester Trunkenheit, Klytämnestra 
grässlich atmend vor Angst, Aug' in Aug'. In diesem Augenblick erhellt
sich der Hausflur und die Vertraute kommt herausgelaufen. Sie flüstert
Klytämnestra etwas ins Ohr. Diese scheint erst nicht recht zu verstehen.
Allmählich kommt sie zu sich. Sie winkt: Lichter! Es treten Dienerinnen
mit Fackeln heraus, stellen sich hinter Klytämnestra. Sie winkt: Mehr
Lichter! Es kommen mehr heraus, stellen sich hinter sie, so dass der Hof
voll von Licht wird und rotgelber Schein an den Mauern flutet. Nun
verändern sich die Züge der Klytämnestra allmählich und die Spannung
des Grauens weicht einem bösen Triumph.  Sie lässt sich die Botschaft
abermals zuflüstern und verliert dabei Elektra keinen Augenblick aus
dem Auge. Ganz bis an den Hals sich sättigend mit einer wilden Freude,
streckt sie die beiden Hände drohend gegen Elektra. Dann hebt ihr die
Vertraute den Stock auf und, auf beide sich stützend, eilig, gierig,
an den Stufen ihr Gewand aufraffend, läuft sie ins Haus. Die Dienerinnen
mit den Lichtern, wie gejagt, hinter ihr drein.
Elektra während dessen:
        Was sagen sie ihr denn? sie freut sich ja!
        Mein Kopf! Mir fällt nichts ein. Worüber freut sich
        das weib?
Chrysothemis kommt, laufend, zur Hoftür herein, laut heulend wie ein
verwundetes Tier.
Elektra
                Chrysothemis! Schnell, schnell, ich brauche
        Aushilfe. Sag' mir etwas auf der Welt,
        worüber man sich freuen kann!
Chrysothemis schreiend:
                                        Orest!
        Orest ist tot!
Elektra winkt ihr ab, wie von Sinnen:
                        Sei still!
Chrysothemis dicht bei ihr:
                                        Orest ist tot!
Elektra bewegt die Lippen.
Chrysothemis
        Ich kam hinaus, da wussten sie's schon! Alle
        standen herum und alle wussten's schon,
        nur wir nicht.
Elektra
                        Niemand weiss es.
Chrysothemis
                                        Alle wissen's!
Elektra
        Niemand kann's wissen: denn es ist nicht wahr.
Chrysothemis wirft sich auf den Boden.
Elektra reisst sie empor:
        Es ist nicht wahr! ich sag' dir doch! ich sag' dir,
        es ist nicht wahr!
Chrysothemis
        Die Fremden standen an der Wand, die Fremden,
        die hergeschickt sind, es zu melden: zwei,
        ein Alter und ein Junger. Allen hatten
        sie's schon erzählt, im Kreise standen alle
        um sie herum und alle wussten's schon.
Elektra
        Es ist nicht wahr.
Chrysothemis
                        Nur uns erzählt man's nicht!
        An uns denkt niemand. Tot! Elektra, tot!
Ein junger Diener kommt eilig aus dem Haus, stolpert über die vor
der Schwelle Liegende hinweg:
        Platz da! wer lungert so vor einer Tür?
        Ah, konnt' mir's denken! Heda, Stallung! he!
Der Koch kommt rechts aus einer Tür:
        Was gibt's?
Ein junger Diener
                Nach einem Stallknecht schrei' ich mir
        die Lunge aus, und wer aus seinem Loch kriecht,
        das ist der Koch.
Ein alter Diener finsteren Gesichts, zeigt sich an der Hoftür:
                        Was soll's im Stall?
Ein junger Diener
                                                Gesattelt
        soll werden, und so rasch als möglich! hörst du?
        ein Gaul, ein Maultier, oder meinetwegen
        auch eine Kuh, nur rasch!
Ein alter Diener
                                Für wen?
Ein junger Diener
                                        Für den,
        der dir's befiehlt. Da glotzt er! Rasch, für mich!
        Sofort! für mich! Trab, trab! Weil ich hinaus muss
        auf's Feld, den Herren holen, weil ich ihm
        Botschaft zu bringen habe, grosse Botschaft,
        wichtig genug, um eine eurer Mähren
        zutod zu reiten.
Ein alter Diener verschwindet.
Der Koch
                        Was für Botschaft? rede
        ein Wort!
Ein junger Diener
                Mit einem Wort, mein guter Koch,
        wär dir wahrscheinlich nicht gedient. Auch könnte
        man schwerlich, was ich weiss und an den Herren
        zu melden hab', so kurzweg in ein Wort
        zusammenfassen: lass es dir genügen,
        wenn man dir sagt, dass eine Botschaft ist
        von höchster Wichtigkeit soeben hier
        im Hause eingetroffen, eine Botschaft,
        -- wie lange solch ein alter Knochen braucht
        um aufzusatteln! -- die, als treuen Diener
        der Herrschaft, dich zu freuen hat: ob du
        sie kennst, ob nicht, ganz gleich, sie hat dich zu
        erfreuen.
Inden Hof brüllend:
                Eine Peitsche, Schuft! was, meinst du,
        ich werd' ihn ohne Peitsche reiten? Du,
        du lässt mich warten und nicht ich den Gaul!
Zum Koch, schon auf dem Sprunge abzugehen:
        Und kurz und gut: der junge Bursch' Orest,
        der Sohn vom Haus, der immer ausser Haus war
        und drum so gut wie tot: kurz dieser, der
        schon eh' und immer sozusagen tot war,
        der ist nun sozusagen wirklich tot!
Springt ab
Der Koch gegen Elektra und Chrysothemis hin, die aneinandergedrückt 
daliegen, wie ein Leib, den das Schluchzen der Chrysothemis schüttelt
und über den sich das totenbleiche schweigende Gesicht der Elektra hebt:
        Eh! jetzt hab' ich's heraus! Die Hunde heulen
        beim Vollmond, und ihr heult, weil jetzt für euch
        auf immer Neumond ist. Die Hunde jagt man,
        wenn sie die Hausruh' stören. Gebt ihr acht,
        sonst geht's euch ebenso.
Geht wieder hinein
Chrysothemis halbaufgerichtet:
        Gestorben in der Fremde! tot! begraben
        dort in dem fremden Land. Von seinen Pferden
        erschlagen und geschlieft! Ach, sein Gesicht
        unkenntlich, sagen sie. Wir haben's nie
        gesehen, sein Gesicht! Wenn wir ihn denken,
        so denken wir ein Kind. Und er war gross.
        Ob er vor seinem Sterben nicht nach uns
        verlangte! Ich hab' sie nicht fragen können:
        es standen alle ringsherum. Elektra,
        wir müssen hin und mit den Männern sprechen.
Elektra vor sich:
        Nun muss es hier von uns geschehn.
Chrysothemis
                                        Elektra,
        wir wollen hingehn: es sind zwei, ein Alter
        und ein viel Jüngerer, wenn sie erfahren,
        dass wir die Schwestern sind, die armen Schwestern,
        so sagen sie uns alles.
Elektra
                                Was frommt noch
        zu wissen? dass er tot ist, wissen wir.
Chrysothemis
        Dass sie uns nichts, nicht einmal eine Locke,
        nicht eine kleine Locke mitgebracht!
        Wie wenn wir gar nicht auf der Welt mehr wären,
        wir beiden Mädchen.
Elektra
                                Darum müssen wir
        jetzt zeigen, dass wir's sind.
Chrysothemis
                                        Elektra?
Elektra
                                                Wir!
        Wir beide müssen's tun.
Chrysothemis
                                Elektra, was?
Elektra
        Am besten heut', am besten diese Nacht.
Chrysothemis
        Was, Schwester?
Elektra
                        Was? Das Werk, das nun auf uns
        gefallen ist, weil er nicht kommen kann
        und ungetan es ja nicht bleiben darf.
Chrysothemis
        Was für ein Werk?
Elektra
                        Nun müssen du und ich
        hingehen und das Weib und ihren Mann
        erschlagen.
Chrysothemis
                Schwester, sprichst du von der Mutter?
Elektra
        Von ihr. Und auch von ihm. Ganz ohne Zögern
        muss es geschehn.
Chrysothemis sprachlos.
- - - - - -
Elektra
                        Schweig still. Zu sprechen ist nichts.
        Nichts gibt es zu bedenken, als nur: wie?
        wie wir es tun.
Chrysothemis
                        Ich?
Elektra
                                Ja. Du und ich.
        Wer sonst? Hat unser Vater andre Kinder,
        die wo im Haus versteckt sind und zu Hülfe
        uns kommen könnten? Nein, soviel ich weiss.
Chrysothemis
        Wir beide sollen hingehn? Wir? wir zwei?
        mit unsern beiden Händen?
Elektra
                                Dafür lass
        du mich nur sorgen.
Chrysothemis
                        Wenn du auch ein Messer --
Elektra verächtlich:
        Ein Messer!
Chrysothemis
                Oder auch ein Beil --
Elektra
                                        Ein Beil!
        Das Beil! das Beil, womit der Vater --
Chrysothemis
                                                Du?
        Entsetzliche, du hast es?
Elektra
                                Für den Bruder
        bewahrt' ich es. Nun müssen wir es schwingen.
Chrysothemis
        Du? diese Arme den Aegisth erschlagen?
Elektra
        Erst ihn, dann sie; erst sie, dann ihn, gleichviel.
Chrysothemis
        Ich fürchte mich. Du bist wie ausser dir.
Elektra
        Es schläft niemand in ihrem Vorgemach.
Chrysothemis
        Im schlaf sie morden, und dann weiter leben!
Elektra
        Es handelt sich um ihn, und nicht um uns.
Chrysothemis
        Kämst du zu dir, den Wahnsinn einzusehn!
Elektra
        Wer schläft, ist ein gebundnes Opfer. Schliefen
        sie nicht zusamm', könnt' ich's allein vollbringen.
        So aber musst du mit.
Chrysothemis abwehrend:
                                Elektra!
Elektra
                                        Du!
        denn du bist stark!
Dicht an ihr
                        Wie stark du bist! dich haben
        die jungfräulichen Nächte stark gemacht.
        Wie schlank und biegsam deine Hüften sind!
        Du windest dich durch jeden Spalt, du hebst dich
        durch's Fenster! Lass mich deine Arme fühlen:
        wie kühl und stark sie sind! Wie du mich abwehrst,
        fühl' ich, was das für Arme sind. Du könntest
        mich, oder einen Mann mit deinen Armen
        an deine kühlen festen Brüste pressen,
        dass man ersticken müsste! Überall
        ist so viel Kraft in dir! Sie strömt wie kühles
        verhaltnes Wasser aus dem Fels. Sie flutet
        mit deinen Haaren auf die starken Schultern
        herunter!
Chrysothemis
                Lass mich!
Elektra
                        Nein: ich halte dich!
        Mit meinen traurigen verdorrten Armen
        umschling ich deinen Leib, wie du dich sträubst,
        ziehst du den Knoten nur noch fester, ranken
        will ich mich rings um dich und meine Wurzeln
        in dich versenken und mit meinem Willen
        das Blut dir impfen!
Chrysothemis
                        Lass mich!
Flüchtet ein paar Schritte
Elektra wild ihr nach, fasst sie am Gewand:
                                Nein!
Chrysothemis
                                        Elektra!
        lass mich!
Elektra
                Ich lass dich nicht. Wir müssen so
        verwachsen ineinander, bis das Messer,
        das meinem Leib von deinem reissen wollte,
        auch gleich den Tod uns gibt, denn nun sind wir
        allein auf dieser Welt.
Chrysothemis
                                Elektra, hör mich.
        Du bist so klug, hilf uns aus diesem Haus,
        hilf uns ins Freie.
Elektra ohne sie zu hören:
                        Du bist voller Kraft
        die Sehnen hast du wie ein Füllen, schlank
        sind deine Füsse, leicht umschling' ich sie
        mit meinen Armen wie mit einem Strick.
        Ich spüre durch die Kühle deiner Haut
        das warme Blut hindurch, mit meiner Wange
        spür' ich den Flaum auf deinen jungen Armen:
        Du bist wie eine Frucht am Tag der Reife.
        Von jetzt an will ich deine Schwester sein,
        so wie ich niemals deine Schwester war!
        Ich will mit dir in deiner Kammer sitzen
        und warten auf den Bräutigam, für ihn
        will ich dich salben und ins duftige Bad
        sollst du mir tauchen wie der junge Schwan
        und deinen Kopf an meiner Brust verbergen
        bevor er dich, die durch die Schleier glüht
        wie eine Fackel, in das Hochzeitsbett
        mit starken Armen zieht.
Chrysothemis schliesst die Augen:
                                Nicht, Schwester, nicht.
        Sprich nicht ein solches Wort in diesem Haus.
Elektra
        O ja! weit mehr als Schwester bin ich dir
        von diesem Tage an: ich diene dir
        wie deine Sklavin. Wenn du liegst in Weh'n,
        steh' ich an deinem Bette Tag und Nacht,
        wehr' dir die Fliegen, schöpfe kühles Wasser,
        und wenn auf einmal auf dem nackten Schoss
        dir ein Lebendiges liegt, erschreckend fast,
        so heb' ich dir's empor, so hoch! damit
        sein Lächeln hoch von oben in die tiefsten
        geheimsten Klüfte deiner Seele fällt
        und dort das letzte, eisig Grässliche
        vor dieser Sonne schmilzt und du's in hellen
        Tränen ausweinen kannst.
Chrysothemis
                                O bring' mich fort!
        Ich sterb' in diesem Haus!
Elektra an ihren Knieen:
                                Dein Mund ist schön,
        wenn er sich einmal auftut um zu zürnen!
        Aus deinem reinen starken Mund muss furchtbar
        ein Schrei hervorsprüh'n, furchtbar wie der Schrei
        der Todesgöttin, wenn man unter dir
        so daliegt, wie nun ich: wenn man auf einmal
        erwacht und wie die Todesgöttin dich
        zu Häupten findet! wenn man unter dir
        gebunden liegt, und so an dir hinaufsieht
        an deinem schlanken Leib mit starrem Aug
        emporschau'n muss, so wie Gescheiterte
        emporschau'n an der Klippe, eh' sie sterben.
Chrysothemis
        Was redest du?
Elektra aufstehend:
                        Denn eh du diesem Haus
        und mir entkommst, musst du es tun!
Chrysothemis will reden.
Elektra hält ihr den Mund zu:
                                        Dir führt
        kein Weg hinaus als der. Ich lass' dich nicht,
        eh du mir Mund auf Mund es zugeschworen,
        dass du es tun wirst.
Chrysothemis windet sich los:
                                Lass mich!
Elektra fasst sie wieder:
                                        Schwör', du kommst
        heut Nacht, wenn alles still ist, an den Fuss
        der Treppe.
Chrysothemis
                Lass mich!
Elektra hält sie am Gewand:
                        Mädchen, sträub' dich nicht!
        es bleibt kein Tropfen Blut am Leibe haften:
        schnell schlüpfst du aus dem blutigen Gewand
        mit reinem Leib ins hochzeitliche Hemd.
Chrysothemis
        Lass mich!
Elektra
                Sei nicht zu feige! Was du jetzt
        an Schaudern überwindest, wird vergolten
        mit Wonneschaudern Nacht für Nacht --
Chrysothemis
                                                Ich kann nicht!
Elektra
        Sag, dass du kommen wirst!
Chrysothemis
                                Ich kann nicht!
Elektra
                                                Sieh,
        ich lieg' vor dir, ich küsse deine Füsse!
Chrysothemis ins Haustor entspringend:
        Ich kann nicht!
Elektra ihr nach:
                        Sei verflucht!
vor sich, mit wilder Entschlossenheit
                                        Nun denn allein!
Sie fängt an der Wand des Hauses, seitwärts der Türschwelle, eifrig
zu graben an, lautlos, wie ein Tier. Hält inne,
sieht sich um, gräbt wieder.
Orest steht in der Hoftür, von der letzten Helle sich schwarz abhebend.
Er tritt herein. Elektra blickt auf ihn. Er dreht sich langsam um, so dass
sein Blick auf sie fällt. Elektra fährt heftig auf, zittert.
Elektra
        Was willst du, fremder Mensch? was treibst du dich
        zur dunklen Stunde hier herum, belauerst,
        was andre tun! Kann sein, du selber hast
        im Sinne, was von andern nicht belauscht
        du wünschest. Also lass auch mich in Ruh.
        Ich hab' hier ein Geschäft. Was kümmert's dich!
        Tritt ab und lass mich an der Erde wühlen.
        Verstehst du, was man redet? oder lässt
        die Neugier dich nicht los? Ich grab' nichts ein,
        ich grab' was aus. Und nicht das Totenbein
        von einem kleinen Kind, das ich vor Tagen
        verscharrt hab'. Nein, mein Bursch, ich gab kein Leben,
        so braucht' ich auch kein Leben zu ersticken,
        noch zu vergraben. Wenn der Leib der Erde
        einmal aus meinen Händen was empfängt,
        so ist's woraus ich kam, nicht was aus mir kam.
        Ich grab' was aus: kaum wirst du aus dem Licht sein,
        so werd' ich's haben und es herzen und
        es küssen, so wie wenn's mein lieber Bruder
        und auch mein lieber Sohn in einem wäre.
Orest
        So hast du nichts auf Erden, was dir lieb ist,
        dass du ein Etwas aus der Erde scharren
        und küssen willst? bist denn du ganz allein?
Elektra
        Ich bin nicht Mutter, habe keine Mutter,
        bin kein Geschwister, habe kein Geschwister,
        lieg' vor der Tür und bin doch nicht der Wachhund,
        ich red' und stehe doch nicht Rede, lebe
        und lebe nicht, hab' langes Haar und fühle
        doch nichts von dem, was Weiber, heisst es, fühlen:
        kurz, bitte, geh und lass mich! lass mich! lass mich!
Orest
        Ich muss hier warten.
Elektra
                                Warten?
Eine Pause
Orest
                                        Doch du bist
        hier aus dem Haus? bist eine von den Mägden
        des Hauses?
Elektra
                Ja, ich diene hier im Haus.
        Du aber hast hier nichts zu schaffen. Freu dich
        und geh.
Orest
                Ich sagte dir, ich muss hier warten,
        bis sie mich rufen werden.
Elektra
                                Die da drinnen?
        Du lügst. Weiss ich doch gut, der Herr ist nicht zu Haus'.
        Und sie, was sollte sie mit dir?
Orest
                                        Ich und noch einer,
        der mit mir ist, wir haben einen Auftrag
        hier an die Frau.
Elektra schweigt.
Orest
                        Wir sind an sie geschickt,
        weil wir bezeugen können, dass ihr Sohn
        Orest gestorben ist vor unsren Augen.
        Denn ihn erschlugen seine eignen Pferde.
        Ich war so alt wie er, und sein Gefährte
        bei Tag und Nacht; der andre, der mit mir ist,
        ein alter Mann, der war der Aufseher
        und Pfleger, den wir hatten.
Elektra
                                        Hab' ich dich
        noch sehen müssen! hast du dich hierher
        in meinen traurigen Winkel schleppen müssen,
        Herold des Unglücks! Kannst du deine Botschaft
        nicht austrompeten dort, wo sie sich freu'n!
        Du lebst -- und er, der besser war als du
        und edler tausendmal und tausendmal
        so wichtig, dass er lebte -- er ist hin!
        Dein Aug' da starrt mich an und seins ist Gallert.
        Dein Mund geht auf und zu und seiner ist
        mit Erde vollgestopft. Könnt' ich den deinen
        mit Flüchen stopfen! geh mir aus den Augen.
Orest
        Was willst du denn? sie nehmen's hier im Haus
        mit Freude auf. Lass doch den Toten tot sein.
        Lass den Orest. Orest ist nun einmal
        gestorben, und das alles musste kommen,
        so wie es kam. Er freute sich zu sehr
        an seinem Leben, und die Götter droben
        vertragen nicht den allzuhellen Laut
        der Lust, ein allzu starkes Flügelschlagen
        vor Abend widert sie, sie greifen schnell
        nach einem Pfeil und nageln das Geschöpf
        an seines dunklen Schicksals finster Baum,
        der ihm im Stillen irgendwo schon längst
        gewachsen war. So musste er denn sterben.
Elektra
        Wie er vom Sterben redet, dieser Bursche!
        Als hätte er's geschmeckt und wieder aus-
        gespie'n. Doch ich! doch ich! da liegen, und
        zu wissen, dass das Kind nie wieder kommt,
        dass die da drinnen leben und sich freuen,
        dass dies Gezücht in seiner Höhle lebt
        und isst und trinkt und schläft und sich vermehrt,
        indes das Kind da unten in den Klüften
        des Grausens lungert, und dem Vater nicht
        sich in die Nähe wagt. Und ich hier droben
        allein! wie nicht das Tier des Waldes einsam
        und grässlich lebt.
Orest
                                Wer bist denn du?
Elektra
                                                Was kümmert's
        dich, wer ich bin. Hab' ich gefragt, wer du bist?
Orest
        Ich kann nicht anders, als zu denken: du
        musst ein verwandtes Blut zu denen sein,
        die starben, Agamemnon und Orest.
Elektra
        Verwandt? ich bin dies Blut! ich bin das hündisch
        vergoss'ne Blut des Königs Agamemnon!
        Elektra heiss' ich.
Orest
                        Nein!
Elektra
                                Er leugnet's ab.
        Er bläst auf mich und nimmt mir meinen Namen.
        Weil ich nicht Vater und nicht Bruder hab',
        bin ich der Spott der Buben! Wer des Wegs kommt,
        stösst mit dem Fuss nach mir, sie lassen mir
        auch meinen Namen nicht!
Orest
                                Elektra muss
        zehn Jahre jünger sein als du. Elektra
        ist gross, ihr Aug' ist traurig, aber sanft,
        wo dein's voll Blut und Hass. Elektra wohnt
        abseits der Menschen und ihr Tag vergeht
        mit Hüten eines Grabes. Zwei, drei Frauen
        hat sie um sich, die lautlos dienen, Tiere
        umschleichen ihre Wohnung scheu und schmiegen
        sich, wenn sie geht, an ihr Gewand.
Elektra klatscht in die Hände:
                                        Recht! recht!
        Erzähl' mir noch was Schönes von Elektra.
        Ich werd' ihr's wiedersagen, wenn ich sie
mit erstickter Stimme
                                                sehe.
Orest
        So seh' ich sie? ich seh' sie wirklich? du?
schnell
        So haben sie dich darben lassen oder --
        sie haben dich geschlagen?
Elektra
                                Wer bist du
        mit deinen vielen Fragen?
Orest
                                Sag mir's sag mir's!
        Sag!
Elektra
                Beides! beides! beides! Königinnen
        gedeihen nicht, wenn man sie mit dem Wegwurf
        vom Zugemüse füttert, Priesterinnen
        sind nicht geschaffen, dass man nach der Peitsche
        sie springen lässt und in so kurzen Lumpen
        statt eines wallenden Gewandes. Lass
        mein Kleid, wühl nicht mit deinem Blick daran.
Orest
        Elektra!
        Was haben sie gemacht mit deinen Nächten!
        Furchtbar sind deine Augen.
Elektra verbissen
                                Geh ins Haus,
        drin hab' ich eine Schwester, die bewahrt sich
        für Freudenfeste auf!
Orest
                                Elektra, hör mich.
Elektra
        Ich will nicht wissen, wer du bist, du sollst mir
        nicht näher kommen. Ich will niemand sehen!
Kauert sich, das Gesicht gegen die Wand
Orest
        Hör zu, ich hab' nicht Zeit. Hör zu. Ich darf nicht
        laut reden. Hör mich an: Orestes lebt.
Elektra wirft sich herum.
Orest
        Gib keinen laut von dir. Wenn du dich regst,
        verrätst du ihn.
Elektra
                        So ist er frei? wo ist er?
        Du weisst es, wo? er ist versteckt? er liegt
        gefangen! irgendwo in einem Winkel
        gekauert wartet er auf seinen Tod!
        Ich muss ihn sterben sehn, sie haben dich
        geschickt, um mich zu foltern, meine Seele
        sollst du aufziehn an einem Strick, und wieder
        zu Boden schmettern!
Orest
                                Er ist unversehrt
        wie ich.
Elektra
                So rett ihn doch! bevor sie ihn
        erwürgen. Kannst du ihm kein Zeichen geben?
        Ich küsse deine Füsse, dass du ihm
        ein Zeichen gibst. Bei deines Vaters Leichnam
        beschwör' ich dich, so schnell du laufen kannst,
        lauf hin und bring ihn fort! das Kind muss sterben,
        wenn es die Nacht in diesem Haus verbringt.
Orest
        Bei meines Vaters Leichnam! dazu kam
        das Kind ins Haus, damit noch diese Nacht
        die sterben, welche sterben sollen --
Elektra von seinen Ton getroffen:
                                                Wer
        bist du?
Der alte finstre Diener stürzt aus dem Hof lautlos herein, wirft sich
vor Orest nieder, küsst seine Füsse, rafft sich auf, angstvoll
um sich schauend, und stürzt lautlos wieder ab.
Elektra kaum ihrer mächtig:
                Wer bist du denn? Ich fürchte mich.
Orest sanft:
        Die Hunde auf dem Hof erkennen mich,
        und meine Schwester nicht?
Elektra schreit auf:
                                        Orest!
Orest fieberhaft:
        Wenn einer dich im Haus gehört hat, der
        hat jetzt mein Leben in der Hand.
Elektra ganz leise, bebend:
                                        Orest!
        Es rührt sich niemand. O lass deine Augen
        mich sehen!  Nein, du sollst mich nicht berühren!
        Tritt weg, ich schäme mich vor dir. Ich weiss nicht,
        wie du mich ansiehst.
        Ich bin nur mehr der Leichnam deiner Schwester,
        mein armes Kind. Ich weiss, es schaudert dich
        vor mir. Und war doch eines Königs Tochter!
        Ich glaube, ich war schön: wenn ich die Lampe
        ausblies vor meinem Spiegel, fühlte ich
        mit keuschem Schauder, wie mein nackter Leib
        vor Unberührtheit durch die schwüle Nacht
        wie etwas Göttliches hinleuchtete.
        Ich fühlte, wie der dünne Strahl des Monds
        in seiner weissen Nacktheit badete
        so wie in einem Weiher, und mein Haar
        war solches Haar, vor dem die Männer zittern,
        dies Haar, versträhnt, beschmutzt, erniedrigt, dieses!
        Verstehst du's, Bruder! diese süssen Schauder
        hab' ich dem Vater opfern müssen. Meinst du,
        wenn ich an meinem Leib mich freute, drangen
        nicht seine Seufzer, drang sein Stöhnen nicht
        bis an mein Bette? Eifersüchtig sind
        die Toten: und er schickte mir den Hass,
        den hohläugigen Hass als Bräutigam.
        Da musste ich den Grässlichen, der atmet
        wie eine Viper, über mich in mein
        schlafloses Bette lassen, der mich zwang,
        alles zu wissen, wie es zwischen Mann
        und Weib zugeht. Die Nächte, weh, die Nächte,
        in denen ich's begriff! Da war mein Leib
        eiskalt und doch verkohlt, im Innersten
        verbrannt. Und als ich endlich alles wusste,
        da war ich weise, und die Mörder hielten --
        -- die Mutter mein' ich, und den, der bei ihr ist, --
        nicht einen meiner Blicke aus!
        Was schaust du ängstlich um dich? sprich zu mir!
        sprich doch! Du zitterst ja am ganzen Leib!
Orest
        Lass zittern diesen Leib. Meinst du, er würde
        nicht noch ganz anders zittern, könnt' er ahnen,
        was ich für einen Weg ihn führen werde?
Elektra
        Du willst es tun? Allein? Du armes Kind.
        Hast du dir keine Freunde mitgebracht?
Orest
        Las, sprich nicht viel davon. Mein alter Pfleger
        ist mit. Doch der es tuen wird, bin ich.
Elektra
        Ich hab' die Götter nie gesehn, allein
        ich weiss, sie werden da sein, dir zu helfen.
Orest
        Ich weiss nicht, wie die Götter sind. Ich weiss nur:
        sie haben diese Tat mir auferlegt,
        und sie verwerfen mich, wofern ich schaudre.
Elektra
        Du wirst es tun!
Orest
                        Ja, ja. Müsst' ich der Mutter
        nur nicht vorher in ihre Augen schau'n.
Elektra
        Sieh mich doch an, was sie aus mir gemacht hat.
Orest sieht sie traurig an.
Elektra
        Du Kind! du Kind! du kommst, verstohlen bist du
        gekommen, von dir selber redest du
        als wie von einem Toten, und du lebst!
Orest leise:
        Gib acht!
Elektra
                Wer bin denn ich, dass du auf mich
        so liebe Blicke heftest? Sieh, ich bin
        gar nichts. Ich habe alles, was ich war,
        hingeben müssen. Auch die Scham, die süsser
        als alles ist, die, wie der Silberdunst,
        der milchige, beim Mond, um jedes Weib
        herum ist und das Grässliche von ihr
        und ihrer Seele weghält! Meine Scham
        hab' ich geopfert, so wie unter Räuber
        bin ich gefallen, die mir auch das letzte
        Gewand vom Leibe rissen! ohne Brautnacht
        bin ich nicht, wie die Jungfrau'n sind, die Qualen
        von einer, die gebärt, hab' ich gespürt
        und habe nichts zur Welt gebracht, und eine
        Prophetin bin ich immerfort gewesen
        und habe nichts hervorgeholt aus mir
        und meinem Leib wie Flüche und Verzweiflung.
        Nachts hab' ich nicht geschlafen, hab' mein Lager
        mir auf dem Turm gemacht, und hab' geschrieen
        im Hofe und gewinselt mit den Hunden.
        Verhasst bin ich geworden und hab' alles
        gesehen, alles hab' ich sehen müssen
        so wie der Wächter auf dem Turm, und Tag
        ist Nacht, und Nacht ist wieder Tag geworden,
        und an der Sonne nicht und an den Sternen
        hab' ich mich nicht gefreut, denn alles war mir
        um seinetwillen nichts, es war mir alles
        nur Merkzeichen, und jeder Tag war nur
        ein Merkstein auf dem Weg!
Orest
                                O meine Schwester.
Elektra
        Was willst du?
Orest
                        Schwester, ob die Mutter nicht
        dir ähnlich sieht?
Elektra wild:
                        Mir ähnlich? Nein. Ich will nicht,
        dass du ihr ins Gesicht siehst. Wenn sie tot ist,
        dann wollen wir zusammen ihr Gesicht
        ansehen. Bruder, sie warf unsrem Vater
        ein weisses Hemde über, und dann schlug sie
        auf das, was vor ihr stand, auf das, was hilflos,
        was ohne Augen war und sein Gesicht
        nicht nach ihr wenden konnte, was die Arme
        nicht frei bekommen konnte -- hörst du mich? --
        auf das schlug sie mit hochgehobnem Beil
        von oben zu.
Orest
                        Elektra!
Elektra
                                Ihr Gesicht
        hat sie von ihren Taten.
Orest
                                Ich will's tun,
        ich will es eilig tuen.
Elektra
                                Der ist selig,
        der tuen darf! Die Tat ist wie ein Bette,
        auf dem die Seele ausruht, wie ein Bett
        von Balsam, drauf die Seele ruhen kann,
        die eine Wunde ist, ein Brand, ein Eiter
        und eine Flamme!
Der Pfleger Orests steht in der Hoftür, ein starker Greis mit blitzenden 
Augen.
Elektra
                        Bruder, wer ist dieser?
Der Pfleger des Orest hastig auf sie zu:
        Seid ihr von Sinnen, dass ihr euren Mund
        nicht bändigt, wo ein Hauch, ein Laut, ein Nichts
        uns und das Werk verderben kann --
Elektra
                                        Wer ist das?
Orest
        Kennst du ihn nicht? Wenn du mich lieb hast, dank ihm.
        Du dankst ihm, dass ich bin. Dies ist Elektra.
Elektra
        Du! du! o nun ist alles wirklich! alles
        knüpft sich zusammen! Lass mich deine Hände
        dir küssen! Ich weiss von den Göttern nichts,
        ich weiss nicht, wie sie sind, drum küss ich lieber
        dir deine Hände.
Der Pfleger des Orest
                        Still, Elektra, still!
Elektra
        Nein, jubeln will ich über dich, weil du
        ihn hast hierhergetrieben. Als ich hasste,
        da schweig ich reichlich. Hass ist nichts, er zehrt
        und zehrt sich selber auf, und Liebe ist
        noch weniger als Hass, sie greift nach allem
        und kann nichts fassen, ihre Hände sind
        wie Flammen, die nichts fassen, alles Denken
        ist nichts, und was aus einem Mund hervorkommt,
        ist ohnmächtige Luft, nur der ist selig,
        der seine Tat zu tun kommt! und selig,
        wer ihn anrühren darf, und wer das Beil
        ihm aus der Erde gräbt, und wer die Fackel
        ihm hält, und wer die Tür ihm auftut, selig,
        wer an der Türe horchen darf.
Der Pfleger des Orest fasst sie rauh und drückt seine Hand gegen
ihren Mund:
                                        Schweig still!
Zu Orest in fliegender Eile
        Sie wartet drinnen. Ihre Mägde suchen
        nach dir. Es ist kein Mann im Haus. Orest!
Orest reckt sich auf, seinen Schauder bezwingend
Die Tür des Hauses erhellt sich, und es erscheint eine Dienerin mit
einer Fackel, hinter ihr die Vertraute. Elektra ist zurückgesprungen,
steht im Dunkel. Die Vertraute verneigt sich gegen die beiden Fremden,
winkt, ihr hinein zu folgen. Die Dienerin befestigt die Fackel an einem
eisernen Ring im Türpfosten. Orest und der Pfleger gehen hinein. Orest
schliesst einen Augenblick, schwindelnd, die Augen, der Pfleger ist dicht
hinter ihm, sie tauschen einen schnellen Blick. Die Tür schliesst sich
hinter ihnen.
Elektra allein, in entsetzlicher Spannung. Sie läuft auf einem Strich
vor der Tür hin und her, mit gesenkten Kopf, wie das gefangene Tier
im Käfig.
Plötzlich steht sie still und sagt:
        Ich habe ihm das Beil nicht geben können!
        Sie sind gegangen und ich habe ihm
        das Beil nicht geben können. Es sind keine
        Götter im Himmel!
Abermals ein furchtbares Warten. Da tönt von drinnen, gellend, der Schrei
der Klytämnestra.
Elektra schreit auf wie ein Dämon:
                        Triff noch einmal!
Von drinnen ein zweiter Schrei.
Aus dem Wohngebäude links kommen Chrysothemis und eine Schar Dienerinnen 
heraus.
Elektra steht in der Tür, mit dem Rücken an die Tür gepresst.
Chrysothemis
        Es muss etwas geschehen sein.
Eine
                                Sie schreit
        so aus dem Schlaf.
II. Magd
                        Es müssen Männer drin sein.
        Ich habe Männer gehen hören.
III. Magd
                                        Alle
        die Türen sind verriegelt.
IV. Magd
                                Es sind Mörder!
        Es sind Mörder im Haus!
I. Magd schreit auf:
                                Oh!
Alle
        Was ist?
I. Magd
        Seht ihr denn nicht: dort an der Tür steht einer!
Chrysothemis
        Das ist Elektra! das ist ja Elektra!
II. Magd
        Warum spricht sie denn nicht?
Chrysothemis
                                        Elektra,
        warum sprichst du denn nicht?
I. Magd
                                        Ich will hinaus
        und Männer holen.
Läuft rechts hinaus
Chrysothemis
                        Mach uns doch die Tür auf,
        Elektra!
Mehrere
        Elektra, lass uns in das Haus!
I. Magd durch die Hoftür zurückkommend, schreit:
                                                Zurück!
Alle        erschrecken.
I. Magd
        Aegisth! Zurück in unsre Kammern! schnell!
        Aegisth kommt durch den Hof! Wenn er uns findet
        und wenn im Hause was geschehen ist,
        lässt er uns töten.

Alle
                                Schnell, zurück! zurück!
Sie verschwinden im Hause links.
Aegisth am Eingang rechts:
        Ist niemand da, zu leuchten? Rührt sich keiner
        von allen diesen Schuften? Kann das Volk
        mir keine Zucht annehmen!
Elektra nimmt die Fackel aus dem Ring, läuft hinunter, ihm entgegen,
neigt sich vor ihm.
Aegisth erschrickt vor der wirren Gestalt im zuckenden Licht,
weicht zurück:
        Was ist das für ein unheimliches Weib?
        Ich hab' verboten, dass ein unbekanntes
        Gesicht mir in die Nähe kommt!
Erkennt sie, zornig.
                                        Was, du?
        Wer heisst dich, mir entgegengehen?
Elektra
                                                Darf ich
        nicht leuchten?
Aegisth
                        Nun, dich geht die Neuigkeit
        ja doch vor allen an. Wo find' ich denn
        die fremden Männer, die das von Orest
        uns melden?
Elektra
                        Drinnen. Eine liebe Wirtin
        fanden sie vor, und sie ergetzen sich
        mit ihr.
Aegisth
                Und melden also wirklich, dass er
        gestorben ist, und melden so, dass nicht
        zu zweifeln ist?
Elektra
                        O Herr, sie melden's nicht
        mit worten bloss, nein, mit leibhaftigen Zeichen,
        an denen auch kein Zweifel möglich ist.
Aegisth
        Was hast du in der Stimme? Und was ist
        in dich gefahren, dass du nach dem Mund
        mir reden willst? Was taumelst du so hin
        und her mit deinem Licht!
Elektra
                                Es ist nichts andres,
        als dass ich endlich klug ward und zu denen
        mich halte, die die Stärkern sind. Erlaubst du,
        dass ich voran dir leuchte?
Aegisth
                Bis zur Tür.
        Was tanzest du? Gib Obacht.
Elektra indem sie ihn, wie in einem unheimlichen Tanz, umkreist,
sich plötzlich tief bückend:
                                        Hier! die Stufen,
        dass du nicht fällst.
Aegisth an der Haustür:
                                Warum ist hier kein Licht?
        Wer sind die dort?
Elektra
                                Die sind's, die in Person
        dir aufzuwarten wünschen, Herr. Und ich,
        die oft durch freche unbescheidne Näh'
        dich störte, will nun endlich lernen, mich
        im rechten Augenblick zurückzuziehen.
Aegisth geht ins Haus. Eine kleine Stille. Dann Lärm drinnen. Sogleich
erscheint Aegisth an einem kleinen Fenster rechts, reisst den Vorhang
weg, schreit:
        Helft! Mörder! helft dem Herren! Mörder, Mörder!
        Sie morden mich!
Er wird weggezerrt.
                        Hört mich denn niemand? hört
        denn niemand?
Noch einmal erscheint sein Gesicht am Fenster.
Elektra reckt sich auf:
                        Agamemnon hört dich!
Aegisth wird fortgerissen:
                                                Weh mir!
Elektra steht, furchtbar atmend, gegen das Haus gekehrt.
Die Frauen kommen wild herausgelaufen, Chrysothemis unter ihnen.
Wie besinnungslos laufen sie gegen die Hoftür. Dort machen sie
plötzlich Halt, wenden sich.
Chrysothemis
        Elektra! Schwester! komm mit uns! so komm
        mit uns! es ist der Bruder drin im Haus!
        es ist Orest, der es getan hat!
Stimmengewirr, Getümmel draussen.

im Hause
        Orest! Orest! Orest!
Getümmel im Hause, Stimmengewirr, aus dem sich ab und zu die Rufe des
Chors: "Orest" bestimmter abheben.
                                        Komm!
        Er steht im Vorsaal, alle sind um ihn,
        sie küssen seine Füsse, alle, die
        Aegisth im Herzen hassten, haben sich
        geworfen auf die andern, überall
        in allen Höfen liegen Tote, alle,
        die leben, sind mit Blut bespritzt und haben
        selbst Wunden, und doch strahlen alle, alle
        umarmen sich --
Draussen wachsender Lärm, die Frauen sind hinausgelaufen, Chrysothemis
allein, von draussen fällt Licht herein.
                        und jauchzen, tausend Fackeln
        sind angezündet. Hörst du nicht, so hörst du
        denn nicht?
Elektra auf der Schwelle kauernd:
                        Ob ich nicht höre? ob ich die
        Musik nicht höre? sie kommt doch aus mir
        heraus. Die Tausende, die Fackeln tragen
        und deren Tritte, deren uferlose
        Myriaden Tritte überall die Erde
        dumpf dröhnen machen, alle warten sie
        auf mich: ich weiss doch, dass sie alle warten,
        weil ich den Reigen führen muss, und ich
        kann nicht, der Ozean, der ungeheure,
        der zwanzigfache Ozean begräbt
        mir jedes Glied mit seiner Wucht, ich kann mich
        nicht heben!
Chrysothemis fast schreiend vor Erregung:
                        Hörst du nicht, sie tragen ihn,
        sie tragen ihn auf ihren Händen, allen
        sind die Gesichter ganz verwandelt, allen
        schimmern die Augen und die alten Wangen
        von Tränen! Alle weinen, hörst du's nicht?
        Ah!
Sie läuft hinaus.
Elektra hat sich erhoben. Sie schreitet von der Schwelle herunter.
Sie hat den Kopf zurückgeworfen wie eine Mänade. Sie wirft die Kniee,
sie reckt die Arme aus, es ist ein namenloser Tanz, in welchem sie nach
vorwärts schreitet.
Chrysothemis erscheint wieder an der Tür, hinter ihr Fackeln, Gedräng, 
Gesichter von Männern und Frauen:
        Elektra!
Elektra bleibt stehen, sieht starr auf sie hin:
                Schweig, und tanze. Alle müssen
        herbei! hier schliesst euch an! Ich trag' die Last
        des Glückes, und ich tanze vor euch her.
        Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins:
        schweigen und tanzen!
Sie tut noch einige Schritte des angespanntesten Triumphes und
stürzt zusammen.
Chrysothemis zu ihr. Elektra liegt starr. Chrysothemis läuft an
die Tür des Hauses, schlägt daran:
                                Orest! Orest!
Stille. Vorhang.


Richard S. Bogart


[ Opera Information Page | Composer Page | OperaGlass Main Page ]

Monday, 08-Dec-2003 21:38:19 PST